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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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Jahre Opfer gebracht und sich als Senator in Rom um die Belange des Volks gekümmert.
    Per Sprechfunk nahm Spechtenhauser Kontakt mit dem Tower des dreißig Kilometer entfernten Regionalflughafens Triest/Ronchi dei Legionari auf, gab sein Reiseziel durch und erhielt die Auskunft, dass das herrschende Hochdruckgebiet wolkenlosen Himmel frei von Turbulenzen bis nach Bozen garantierte. Die Sonne stand in seinem Rücken. Nach einem letzten Check schob er den Gashebel nach vorne und löste dann die Bremse. Am Sonntagmorgen um sechs Uhr und zwölf Minuten hob die Cessna ab und gewann rasch an Höhe. Bei voller Geschwindigkeit hatte sie eine Steigleistung von fünfhundertvierundsechzig Metern pro Minute.
    Die Bewohner der Gemeinde Aurisina auf dem Karst wurden unsanft geweckt. Um sechs Uhr und vierzehn Minuten zerriss der Knall einer Explosion den friedlichen Morgen, ein Feuerball stand am Himmel. Die qualmenden Trümmer der Maschine hagelten auf den österreichisch-ungarischen Soldatenfriedhof, wo in einer Doline die Gebeine Gefallener des Ersten Weltkriegs bestattet waren. Leichtere Teile der Reims-Cessna prasselten weiter entfernt in die Vorgärten und auf die Dächer der Häuser am Dorfrand, deren Bewohner im Morgenmantel herausgestürzt waren und nun blass vor Schrecken auf der Straße standen. Ein Streifenwagen der Polizia di Stato hatte sich auf der Rückfahrt zum Kommissariat von Sistiana befunden, wo die Polizisten ihre Nachtschicht mit dem üblichen Papierkram zu beschließen hatten. Nur per Zufall waren sie in der Nähe gewesen und noch vor den Carabinieri aus der nahen Kaserne an der Absturzstelle eingetroffen, denen sie die Sache liebend gerne überlassen hätten. Die beiden Männer schimpften über ihr Missgeschick, verständigten das Polizeipräsidium in Triest und sperrten weiträumig die Zufahrt ab.
     
    »Was geht mich ein Flugzeugabsturz an? Das ist Sache der Luftfahrtbehörde«, beschwerte sich Vicequestore Proteo Laurenti, als sein Telefon ihn um halb sieben aus dem Schlaf riss.
    Den Sonntag hatte er am Meer verbringen wollen. Mit Laura, die in langen Ehejahren gelernt hatte, sich von den Notrufen, die ihren Mann weckten, nicht mehr stören zu lassen, sich umdrehte, die Decke über den Kopf zog und weiterschlief. Laurenti hingegen zwangen sein Pflichtgefühl und eiserne Selbstdisziplin auf die Beine, auch wenn er erst spät zu Bett gegangen war.
    »Ich wusste nicht, wen ich sonst verständigen sollte«, entschuldigte sich die männliche Stimme in der Zentrale kleinlaut. »Die Vorschriften besagen, dass bei Abstürzen an alles gedacht werden muss.«
    »Und das überlässt man am liebsten den Vorgesetzten«, raunzte der Commissario. »Raus mit der Sprache.«
    Laurenti ließ sich die Absturzstelle beschreiben und legte grußlos auf. Unter der Dusche fand er dann endgültig ins Leben zurück. Auf der Fahrt hielt er kurz an einer Bar, um einen Espresso zu trinken, und um sieben Uhr bog er in Aurisina am Wegweiser in Richtung des Soldatenfriedhofs ab, wo er vor dem rot-weißen Plastikband parkte, mit dem die Kollegen das Strässchen blockiert hatten. Zwei Feuerwehrwagen standen am Straßenrand, die Besatzungen hatten keine Brandgefahr ausgemacht und warteten auf Anweisungen. Anwohner grüßten den Commissario, den sie aus der Osteria in Santa Croce kannten. Dort würde zur Mittagszeit am Tresen wohl heftig über den Vorfall diskutiert werden; die Tatsache, dass auch der Leiter der Kriminalpolizei eingetroffen war, ließ der Phantasie freien Lauf.
    Die Kennung am Rumpf der Zweimotorigen war noch lesbar, die Besatzung des Streifenwagens hatte sie bereits durchgegeben, und vom Flughafen traf die Auskunft ein, dass der Funkkontakt zwei Minuten nach dem Abheben abgebrochen war. Als sie exakt tausendzweihundert Meter Flughöhe erreicht hatte. Der Pilot hieß Franz Xaver Spechtenhauser, war siebenundsechzig Jahre alt und ein erfahrener Flieger gewesen. Er wohnte nur drei Kilometer entfernt in einer Villa auf dem Karst. Laurenti kannte ihn flüchtig. Ein einflussreicher Mann aus Südtirol, der sich vor über dreißig Jahren hier niedergelassen hatte. Eine seiner Töchter bewohnte ein exklusives Haus über der Bucht von Duino, die andere lebte im vierzig Kilometer entfernten Seebad Grado.
    Der Commissario forderte Kriminaltechniker, den Zivilschutz und die Spurensicherung an; auch Hunde sollten sie mitbringen. Die weitverstreuten Trümmer zusammenzutragen, konnte Tage dauern. Ohne sie aber ließ sich die Ursache des
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