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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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Unglücks nicht feststellen. Und den zerfetzten Leichnam einzusammeln, war ein delikates Geschäft und forderte bei der zu erwartenden Hitze schnelles Handeln, bevor sich Ameisen, Raubvögel, Wildschweine, Füchse und Schakale darüber hermachten. Als er aufgelegt hatte, fuhren zwei Wagen der Flugsicherheit heran. Laurenti informierte die Insassen in knappen Worten und sagte, er würde die Tochter des Piloten in Duino verständigen.

Kein Schrei ohne Not
     
    »Für derartigen Mist verschwendest du das bisschen Geld, das du verdienst, und wir können nicht einmal richtige Möbel anschaffen.«
    Xenia war außer sich, Schweiß stand ihr auf der Stirn, der Puls raste. Voller Verzweiflung schleuderte sie die kleine Schmuckschachtel gegen die Wand. Dann zerbrach die Tischplatte unter ihrem zielgenauen Karatehieb, und nach der halbvollen Weinflasche zersplitterte auch der Teller mit den Spaghetti neben der Tür des Wohnzimmers. Die Tränen der Tomatensoße rannen über die weiße Wand, an der ein paar Nudeln hängen geblieben waren.
    »Liebe ist doch kein Gefängnis. Seit Jahrhunderten heiraten die Menschen«, murmelte Zeno bedrückt. Der tief gebräunte junge Mann wagte sich nicht von seinem Stuhl zu rühren. Dem Chaos aus Scherben und Speiseresten zu seinen Füßen schenkte er keinen Blick. Er fixierte Xenia und wusste, dass er wieder einmal denselben Fehler begangen hatte. Ihre Augen flackerten wild, die Haut über den Knöcheln ihrer verkrampften Hände schimmerte hell.
    »Ich will wissen, was du verkauft hast, um diese idiotischen Ringe zu bezahlen. Und ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass ich es hasse, eingesperrt zu werden«, sagte die junge Frau mit gepresstem Atem, deren feines hellblondes Haar streichholzkurz geschnitten war.
    Der Gefühlsausbruch der Kommissarin war so vorhersagbar gewesen wie der schwere Hagelsturm, der am Vortag im Collio mehr als die Hälfte der Blütenstände von den noch zarten Trieben der Weinstöcke gerissen hatte. Xenia litt unter dem Stress im notorisch unterbesetzten Kommissariat, wo sie sich vergebens bemühte, fehlendes Personal durch doppelten Einsatz auszugleichen. In Zeiten einer dahinsiechenden Wirtschaft gab es immer mehr Schlaumeier, die versuchten, mit kleinen Gaunereien ihr Budget aufzubessern. Immer wieder Verhöre, bei denen die Verdächtigen rasch geständig waren, sobald sie begriffen, dass ihnen dies vor Gericht Vorteile brachte. Alles Routine, doch interessante Fälle, welche die Polizistin herausgefordert hätten, gab es keine.
    »Beruhige dich, mein Schatz. Es wäre doch nur vernünftig«, sagte Zeno versöhnlich.
    »Vernunft? Jetzt fängst du schon wieder an. Hast du eigentlich eine Ahnung davon, in welcher Welt du lebst?« Wie ein Tiger im Käfig raste sie drei Schritte vor und wieder zurück. Unversehens krachte ihr Mobiltelefon gegen die Wand hinter dem jungen Mann und zersplitterte. »Fünfunddreißig Jahre bin ich alt, und wir befinden uns mitten im Krieg. Dollar und Pfund gegen den Euro. Die Mafia hat das Finanzwesen übernommen und wäscht unter aller Augen Milliarden an schmutzigem Geld. Bankrotte Banken werden gerettet und treiben mit ihren Wetten trotzdem noch und völlig ungesühnt ganze Volkswirtschaften in den Abgrund. Die Bevölkerung wird geopfert. Eine Spielhölle ist das, in der ein paar wenige daran verdienen, unsere Zukunft zu ruinieren. Und wir beide sind notorisch pleite. Siehst du überhaupt, wie wir hausen? Schäbige Möbel vom Flohmarkt, nicht einmal für den Mist von Ikea reicht unser Geld. Aber dir fällt nichts anderes ein, als von Perspektiven zu reden, die es nicht gibt.«
    Xenias Stimme überschlug sich. Ihr nächster Schlag mit der bloßen Faust traf die Türfüllung. Ein Bilderrahmen mit einem Foto der beiden vor einem Sonnenuntergang fiel zu Boden und zersplitterte, Putz bröckelte von der Wand.
    Zeno machte vorerst keinen Versuch mehr, seine Freundin zu besänftigen. Nur seine dunklen Augen folgten ihr.
    »Gut hat sie gelebt, die Generation vor uns. Und nichts dafür getan, dies zu erhalten oder etwa weiterzugeben. Zukunft? Vergiss es. Die Bank hat mir heute die Kreditlinie gekürzt, und dieser Waschlappen von Filialdirektor faselte von Anweisungen aus der Zentrale. Wir stehen vor Trümmern. Wie die, die mir meine Eltern hinterlassen haben.«
    »Sicher nur ein Versehen. Red morgen nochmals mit ihm.«
    »Was weißt denn du schon? Du hast nicht einmal einen festen Job und kaufst goldene Ringe. Als kleiner Aushilfslehrer hangelst
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