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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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die Trauergäste anzusehen, die Franz Xaver Spechtenhauser das letzte Geleit gaben. Der Mann, dessen Nachname ihm fast einen Kieferbruch bescherte, wenn er ihn aussprechen musste, war bedauerlicherweise in seinem Zuständigkeitsbereich ums Leben gekommen – und den Auswertungen der Spezialisten zufolge war es kein Unfall gewesen.
    Während der Commissario sich mit der Kollegin unterhielt, die ihn um eine Handspanne überragte, streifte seine mit Bluejeans und dottergelbem T-Shirt gekleidete Mitarbeiterin über den Platz.
    »Die Alternativen aus dem Black Block wollen Unruhe stiften, heißt es. Eine Meldung, die wir heute früh erhalten haben.« Xenia zeigte auf ein mit großen farbigen Lettern beschriftetes Leintuch, das aus dem Fenster eines der Häuser in der Zufahrtsstraße hing. »NO C/TAV« lautete das Motto und war gegen den Regierungschef und zugleich auch die dringend geforderte Hochgeschwindigkeitstrasse der Eisenbahn gerichtet, über die seit Jahren nur diskutiert wurde. »Die Leute sind sauer«, murmelte Xenia, nahm die Schirmmütze ab und fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Es wäre verständlich, wenn sie hier Randale machten. Der ganze Club fährt in dicken Dienstwagen vor, nur weil einer von ihnen mit seinem Privatflugzeug abgestürzt ist. Mit den Mitteln, die dieser überdimensionierte Sicherheitsaufwand kostet, könnte man drei Schulen renovieren.« Xenia wurde vom kurzen Aufheulen einer Sirene übertönt, als der gepanzerte Audi vorfuhr, dem der Premier entstieg, der sein strahlend weißes Gebiss bleckte und dann von tiefer Trauer ergriffen mit gesenktem Haupt über den Platz schritt.
    »Wo wird Spechtenhauser eigentlich beigesetzt?«, fragte Laurenti.
    »Die Töchter haben sich Gott sei Dank für eine Urnenbestattung in seinem Geburtsort in Südtirol entschieden – nur ein Grab neben Ötzi«, sagte Xenia mit bitterem Lächeln. »Stell dir vor, wir müssten für die Wagenkolonne auch noch die Strecke zum Friedhof absperren. An einem Freitag! Gestern war ein Feiertag nördlich der Alpen, und die ersten Touristen haben pünktlich zum Auftakt der Saison die Autobahn verstopft. Der alte Spechtenhauser hat gewusst, wofür er ein eigenes Flugzeug hatte.«
    Laurenti achtete genau darauf, wie seine Kollegin den Namen des Toten akzentfrei über die Lippen brachte. Sie könnte ihn tausendfach wiederholen, nicht einmal mit Hilfe eines Logopäden würde er das schaffen. »Seine Schlauheit hatte ihre Grenzen, Xenia. Die Spezialisten haben Sprengstoffspuren gefunden. Er wurde abgestürzt. Kurz nach dem Start.«
    »Glückwunsch, Kollege. Hattest du vor seinem Tod schon einmal mit Spechtenhauser zu tun?«
    Laurenti schüttelte den Kopf. »Ich bin ihm gelegentlich in einer Osmizza auf dem Karst begegnet. Er wohnte bei San Pelagio, eine seiner Töchter begleitete ihn. Die aus Duino, glaube ich. Sie sind so schwer auseinanderzuhalten.«
    »Gar nicht, wenn man sie ein bisschen kennt. Eine trägt die Narbe einer alten Verletzung am Unterarm, die andere eine kleine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen.«
    Auf Laurentis Bitte hin hatte Xenia nach dem Flugzeugabsturz am frühen Morgen Magdalena Spechtenhauser in Grado über das Unglück informiert. Während die Polizistin um schonende Worte rang, hatte Magda längst verstanden, dass etwas Schreckliches passiert war.
    »Wissen die beiden schon, dass es kein Unfall war?«, fragte Xenia schließlich.
    Laurenti nickte. »Ich habe es Gertraud gestern Abend telefonisch mitgeteilt. Sie war außer sich und wiederholte mehrfach, ihr Vater sei ein Wohltäter gewesen und habe keine Feinde gehabt.«
    »Wir sind von Selbstlosen umzingelt! Gott hab ihn selig.« Xenia verdrehte die Augen.
    Laurenti verbiss sich jeden Kommentar. Unmöglich konnte er ihr von dem streng vertraulichen Bericht erzählen, den er zufällig im Flur vor dem Büro eines Kollegen von der Abteilung für Delikte mit politischem Hintergrund gefunden und natürlich unerlaubt eingesehen hatte, bevor er ihn zurückgab.
    Spechtenhauser war darin als eine der grauen Eminenzen genannt, die dank ihrer Firmenbeteiligungen angeblich von den Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien sowie von den ethnischen Konflikten in Bosnien-Herzegowina profitierten. Dann sollten, zumindest dem Bericht mit dem Stempel des bundesdeutschen Nachrichtendienstes zufolge, stets unzählige Lastwagen illegal die Grenzen überfahren, weil die Sicherheitskräfte an den Brennpunkten im Landesinneren zusammengezogen wurden. Für
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