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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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du dich von Monat zu Monat, und bist auch noch glücklich darüber, wenn in letzter Minute ein Anruf kommt, mit dem sie dir für ein paar Wochen den nächsten Vertretungsjob anbieten. Für ein paar Kröten, von denen du nichts zurücklegen kannst.«
    »Du übertreibst, Xenia. Ich liebe dich, das ist alles.« Ratlos strich Zeno sich mit beiden Händen über den fast kahlen Kopf, dessen schwarzes Haar er alle paar Tage mit dem Elektrorasierer trimmte. Seine Stimme klang verzagt, seine Widerrede würde ohnehin kein Gehör finden.
    »Schweig! Irgendjemand verdient sich dumm und dämlich an der Misere der anderen. Und du denkst immer nur an solchen Quatsch wie Heiraten und Kinderkriegen, die keinen Platz in dieser Welt hätten. Für Ordnung müssen wir sorgen, kämpfen für Transparenz, Gleichheit, Gerechtigkeit, Eintracht, Demokratie. Steck dir dein Harmoniebedürfnis irgendwohin, du Herr der Ringe.«
    Xenia wischte sich den Schweiß von der Stirn und tat einen Schritt durch die geschlossene Tür, deren Füllung am Boden lag und unter ihrem Schritt knirschte. Von einem Schränkchen nahm sie die Schlüssel des Bootes, steckte ein Päckchen Tabak samt Papierchen und Feuerzeug ein. Die Haustür flog hinter ihr ins Schloss. Um die Lichter, die in den beiden Häusern gegenüber angeknipst wurden, um die offenen Fenster, in denen sich die Köpfe neugieriger Nachbarn abzeichneten, scherte sie sich einen feuchten Kehricht.
    Müde, angespannt und hungrig war sie nach Ende ihres Dienstes nach Hause gekommen. Als Letztes hatte ausgerechnet sie einem besinnungslos knutschenden Paar Einhalt bieten müssen, das sich, umgeben von Spannern, auch noch vor dem Eingang zur mittelalterlichen Kirche Santa Maria delle Grazie schon fast alle Kleider vom Leib gerissen hatte. Gemeinsam mit einem Kollegen hatte sie die beiden in den Dienstwagen verfrachtet und den Vorfall anschließend im Kommissariat auf der Isola della Schiusa vorschriftsmäßig zur Anzeige gebracht. Ein Triestiner und eine Frau aus Udine, das würde Schlagzeilen machen, waren sich die beiden Städte doch in steter Missgunst verbunden. Und diese geilen Idioten hatten nichts Besseres zu tun gehabt, als den Verstand unter den Augen der Touristenströme in diesem Badeort zu verlieren, den sie offensichtlich als Niemandsland empfanden.
    Trotz der späten Stunde hatte Zeno ihr eine Pasta zubereitet und war vor Zuneigung übergequollen, während sie rasch zwei Gläser Wein hinabstürzte, in der Hoffnung, damit ihren Adrenalinspiegel zu senken.
    Als die hochgewachsene Frau in der Dunkelheit verschwand, hallte nur noch ihr wütender Schritt durch die stille Via delle Pleiadi. Einmal noch leuchtete ihr Gesicht in der Finsternis auf, als sie kurz verharrte, um sich eine Zigarette anzustecken.
    »Schon wieder ein neuer Tisch«, seufzte Zeno erschüttert und hob deprimiert die kleine Schachtel mit den Ringen auf, nach denen er wochenlang gesucht und sich dafür auch noch unter Wert von seiner LP-Sammlung und dem Plattenspieler getrennt hatte, für den er keinen Saphir mehr auftreiben konnte. Dann holte er Kehrschaufel und Mülleimer.
    Wegen des immer gleichen Themas hing der Haussegen schief. Die schweren Wolken würden sich erst wieder heben, wenn Xenia sich nach ein paar Stunden abreagiert hatte. Kein Wort würde sie dann über den Vorfall verlieren, sondern sich irgendwann im Schlaf an ihn schmiegen und am Morgen gutgelaunt erwachen.
    Seit drei Jahren waren sie zusammen, und seit elf Monaten lebten sie zur Miete in diesem unscheinbaren Häuschen in einer unbelebten Nebenstraße des Ortsteils Grado Pineta, nur hundert Meter vom langen Sandstrand und dem kleinen Hafen entfernt, in dem ihr Boot lag. Zeno wusste genau, dass Xenia die Fassung nur verlor, wenn sie litt. Panische Platzangst hatte ihr der Psychologe einst bescheinigt und ironisch behauptet, damit könne sie für den Rest des Lebens Invalidenrente beantragen. Im Beruf konnte sie die Klaustrophobie mit extremer Selbstdisziplin in Schach halten. Doch wenn sie konnte, vermied sie geschlossene Räume. Mit ihr zum Shoppen in Einkaufszentren zu fahren, wie es ganz normale Paare taten, um die Zeit bis zum Fernsehabend totzuschlagen, war schlicht unmöglich, zu viele Menschen. Und bevor sie einen Aufzug betrat oder mit anderen Leuten eine Rolltreppe teilte, war sie bereits im Treppenhaus verschwunden, egal wie viele Stockwerke sie zu bewältigen hatte.
    »Warum zum Teufel hat sie mich damals laufenlassen? Hätte sie nach Vorschrift
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