Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondkuss

Mondkuss

Titel: Mondkuss
Autoren: Astrid Martini
Vom Netzwerk:
angeblickt hatte, war ihr durch und durch gegangen. Und die sinnliche Linie seiner Lippen, die ihr sofort aufgefallen war, hatte sich unauslöschbar in ihr Gedächtnis geprägt. Sicher küsste er wie ein junger Gott. Marleen seufzte leise. Dann schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund. Halt! Stopp!, schalt sie sich in ihren Gedanken. Genug jetzt. Was ist mit dir los? Jetzt sag
    bloß nicht, ein einziger Blick, ein unbedeutendes Lächeln bringt dich dermaßen aus der Fassung, dass du dich in Tagträumereien und lächerlichen Gedankenschwärmereien verlierst!! Zumal dieser Kerl mindestens zehn Jahre jünger ist als du. Also, lass diese albernen Anwandlungen und komm gefälligst wieder zu dir.
    „Recht hast du, mein inneres Ich“, murmelte sie, atmete tief durch und schritt dann zielstrebig auf ein Gemälde in der hinteren Ecke der Galerie zu. Eingehend betrachtete sie das Bild, auf dem sich eine Frau mit unstetem, gierigem Blick auf einem Himmelbett rekelte. Die rote Decke, die sie umgab, hatte beinahe die gleiche Schattierung wie die Vorhänge des Himmelbettes. Die unterschiedlichen roten Farbtöne, die das gesamte Bild dominierten, wirkten wie ein Magnet auf ihre Sinne. Ihr Blick wurde förmlich in das Gemälde hineingesogen, führte dort ein Eigenleben und schien in den einzelnen Pinselstrichen aufzugehen. Sie trat einen kleinen Schritt zurück, um das Bild noch intensiver in sich aufzunehmen. Es trug den Titel „Todsünde“, und während sie die unterschiedlich schimmernden Töne von zart himbeerfarben bis fast schwarzrot mit ihrem Blick liebkoste, bekam sie eine Ahnung davon, wieso das Bild diesen Namen trug: Es strahlte eine Hitze aus, die bis zu ihr rüberschwappte … sich auf sie übertrug … sündige Gedanken in ihr weckte. Das Verlangen in den Augen der Dame auf dem Bild streckte seine Fangarme explosionsartig nach Marleen aus und ergriff von ihr Besitz. Glut … Feuer … Leidenschaft … Blut … Liebe … Schmerz. Das waren die Begriffe, die sie spontan mit diesem Anblick assoziierte. „Kann ich Ihnen behilflich … ach … Marleen … du bist es. Schön, dich zu sehen.“ „Hallo, Ruth.“ Marleen wandte sich um und lächelte der Frau, die nun hinter sie getreten war, freundlich zu. „Das Bild lässt dich nicht los, nicht wahr?“ „Oh ja. Es hat einen Zauberbann über mich geworfen, hält mich in seinem Netz wie eine Spinne ihr Opfer. Und es gelingt mir nicht, diesen Zauberbann abzuschütteln. Im Gegenteil.“ „Noch ist es zu haben“, zwinkerte Ruth ihr neckend zu. Sie war eine Frau Ende vierzig, trug ihren Pagenkopf knallrot gefärbt und hatte eine Vorliebe für Silberschmuck; was man auf Anhieb erkennen konnte, denn sie war über und über damit behangen. Ihr smaragdgrünes Trägerkleid aus Leinen war vorn mit zwei großen halbrunden Taschen bestückt und fiel nicht zuletzt durch den orangefarbenen Schriftzug „HOT“ auf, der sich quer über ihre Brust zog. Ihre Füße steckten in schwarzen Clogs, und sie hatte eine kunterbunte Perlenkette mehrfach um ihr rechtes Fußgelenk geschlungen. Ruth war ein Unikum, ein ganz besonderer Mensch. Marleen hatte sie kennengelernt, als sie sie als Anwältin bei ihrer Scheidung vertreten hatte, und seitdem hatte sich mehr und mehr ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen entwickelt. Liebevoll erwiderte Marleen das Zwinkern der Freundin. „Du meinst also, ich soll zugreifen, bevor mir jemand zuvorkommt?“ „Aus dieser Perspektive könnte man es durchaus betrachten, meine Liebe.“ Marleen seufzte leise auf. „Die Versuchung ist groß. Sogar sehr groß. Aber es passt leider nicht in meine Wohnung. Weder zu den Möbeln, noch zur Tapete.“ „Tja, dann musst du weiterhin täglich herkommen, das Bild in dein Gedächtnis einbrennen und hoffen, dass sich so schnell kein Käufer finden wird.“ „Vielleicht ist mir das Schicksal ja hold, und das Bild bleibt ein Ladenhüter … ich meine … nicht, dass ich dir etwas Schlechtes wünsche … von mir aus kann sich jedes deiner Bilder verkaufen wie warme Semmeln. Aber eben nicht dieses eine hier.“ Ruth lachte schallend auf. „Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass dir das Schicksal eventuell etwas signalisieren möchte, indem es dich und dieses Bild durch einen Zauber miteinander verbunden hat?“ „Ich kann dir nicht folgen.“ „Nun, vielleicht will das Schicksal dich ja darauf aufmerksam machen, dass es Zeit ist für Veränderungen – angefangen bei deiner Wohnung.“ „Ich hasse
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher