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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch
Autoren: Martin Suter
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    »Maravan! Siphon!«
    Maravan legte rasch das scharfe Messer neben die feinen Gemüsestreifen, ging zum Wärmeschrank, entnahm ihm den heißen Edelstahlsiphon und brachte ihn zu Anton.
    Der Siphon enthielt die Paste für die Bärlauchsabayon der marinierten Makrelenfilets.
    Noch bevor sie den Tisch erreicht hatte, würde sie in sich zusammengefallen sein, darauf könnte Maravan wetten. Er hatte nämlich beobachtet, wie Fink, der Spezialist für molekulare Küche, Xanthan und Johannisbrotkernmehl verwendet hatte. Anstatt Xanthan und Guarkernmehl, wie es sich für heiße Schäume empfahl.
    Er stellte den Siphon auf die Arbeitsfläche vor dem ungeduldig wartenden Koch.
    »Maravan! Julienne!« Diesmal war es die Stimme von Bertrand, dem Beilagenkoch, in dessen Auftrag er eigentlich dabei war, die Julienne zu schneiden. Maravan eilte zu seinem Küchenbrett zurück. In ein paar Sekunden hatte er das restliche Gemüse geschnitten - Maravan war ein Messervirtuose - und brachte Bertrand die Gemüsestreifen.
    »Scheiße!«, schrie hinter ihm Anton Fink, der Mann fürs Molekulare.
    Der Huwyler - kein Mensch sagte »Chez Huwyler«, wie es auf der Fassade stand - war in Anbetracht der Wirtschaftslage und des Wetters gut besetzt. Nur dem genauen Beobachter wäre aufgefallen, dass Tisch vier und neun fehlten und auf zwei anderen die Reserve-Schilder noch immer auf ihre Gäste warteten.
    Das Lokal war, wie die meisten Spitzenrestaurants aus der Nouvelle-Cuisine-Zeit, etwas überdekoriert. Die Tapeten gemustert, die Vorhänge aus schwerem Brokatimitat, an den Wänden goldgerahmte Öldrucke berühmter Stillleben. Die Platzteller waren zu groß und zu bunt, das Besteck zu unhandlich und die Gläser zu originell.
    Fritz Huwyler war sich bewusst, dass der Trend an seinem Restaurant vorbeigezogen war. Er besaß genaue Pläne für dessen Neupositionierung, wie seine Einrichtungsberaterin es nannte. Aber dies war keine Zeit für Investitionen, er hatte sich entschieden, in kleinen Schritten Neuerungen vorzunehmen. Eine davon war die Farbe von Kochjacke, Hose und Dreieckstuch: alles in trendigem Schwarz. Die ganze Brigade war so eingekleidet, bis und mit Commis de Cuisine. Nur die Küchenhilfen und Officeangestellten trugen nach wie vor Weiß.
    Auch was die Küche anging, hatte er sachte mit einer Neuorientierung begonnen: Die klassischen und halbklassischen Gerichte wurden da und dort durch molekulare Highlights akzentuiert. Zu diesem Zweck hatte er die vakant gewordene Stelle des Gardemanger mit einem Koch mit molekularer Erfahrung besetzt.
    Huwyler selbst besaß in dieser Hinsicht keine persönlichen Ambitionen mehr. Er legte in der Küche nur noch selten Hand an und konzentrierte sich auf den administrativen und gastgeberischen Teil seiner Aufgabe. Kam dazu, dass er Mitte fünfzig war und ein vielfach preisgekrönter Koch, vor dreißig Jahren sogar ein Pionier der Nouvelle Cuisine. Er fand, er habe seinen Teil zur kulinarischen Entwicklung des Landes beigetragen. Er war zu alt, um noch einmal etwas Neues zu lernen.
    Seit der unschönen Trennung von seiner Frau, der er einen großen Teil des Erfolges von Chez Huwyler und die ganze verunglückte Inneneinrichtung zu verdanken hatte, erfüllte er gegenüber der Gästeschaft alle Repräsentationsaufgaben. Vor der Trennung waren ihm die allabendlichen Rundgänge von Tisch zu Tisch eine lästige Pflicht gewesen, aber inzwischen war er auf den Geschmack gekommen. Es geschah immer öfter, dass er sich an einem der Tische verplauderte. Dieses spät entdeckte Kommunikationstalent hatte auch dazu geführt, dass er sich im Berufsverband engagierte und dafür viel Zeit opferte. Fritz Huwyler war Vorstandsmitglied und zur Zeit turnusgemäß amtierender Präsident von
swisschefs.
    Im Moment stand er neben Tisch eins, einem Sechsertisch, der heute nur für zwei gedeckt war. Dort saß Eric Dalmann mit einem Geschäftsfreund aus Holland. Dalmann hatte zum Aperitif einen 2005er Chardonnay von Thomas Studach aus Malans á hundertzwanzig Franken bestellt anstatt, wie sonst immer, eine Flasche Krug Grande Cuvee brut für vierhundertzwanzig.
    Das war aber auch sein einziges Zugeständnis an die Wirtschaftskrise. Zum Essen hatte er wie immer das große Surprise bestellt.
    »Und Sie? Spüren Sie etwas von der Krise?«, erkundigte sich Dalmann.
    »Null«, log Huwyler.
    »Qualität ist krisenfest«, antwortete Dalmann und hob die Hände, um Platz zu machen für den Teller mit der schweren Cloche, den die
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