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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen
Autoren: Elke Meyer
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Schweiß rann ihren Rücken hinab, nicht vor Anstrengung, sondern vor Anspannung. Überall wähnte sie Augen, die sie verfolgten, zwischen den Bäumen, selbst im See. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Dämonen über sie herfielen. Doch sie war vorbereitet, um den Kampf aufzunehmen.
    Mit zusammengebissenen Zähnen verdoppelte sie ihr Tempo. Sie war fest entschlossen, ihre herangereiften Fähigkeiten zu beweisen. Sollte der Alte doch an ihr Versagen glauben, sie würde ihn eines Besseren belehren. Hermits Zweifel ärgerten sie, schließlich hatte sie ihm oft genug gezeigt, welche Kräfte in ihr schlummerten, und wie sicher sie diese in der Zwischenzeit beherrschte.
    Lass dich nicht ablenken, konzentriere dich auf dein Inneres, das mehr sieht, als deine Augen es jemals vermögen. Dieser Satz verlieh ihr Mut.
    Lange folgte sie dem Pfad, der sich zwischen den Bäumen den Hügel emporschlängelte, ohne dass etwas geschah. Eine trügerische Sicherheit, denn sie spürte die Blicke der glühenden Augen auf sich. Der Pfad verengte sich, bis sie sich einen Weg durch dichtes Gestrüpp bahnen musste. Sie schrie auf, als dornige Zweige ihr ins Gesicht peitschten. Die Striemen brannten wie Feuer. Blut lief über ihre Lippen, das sie mit dem Ärmel abwischte. Als sie die Blutflecke auf dem weißen Stoff betrachtete, erinnerte sie das wieder an die ermordeten Frauen und die grausame Art ihres Todes. Ihre Leichen wurden rund um Gealach gefunden, nackt, vergewaltigt und übel zugerichtet wie Schafe, die von einem Wolf gerissen wurden. Nur eine Bestie wäre zu dieser Tat fähig. Amber konnte spüren, wie die Schattenwelt erneut ihre todbringenden Finger ausstreckte.
    Vielleicht ein Werwolf oder ein ... Nein, das Tor war verschlossen und Aidan würde das nie tun. Oder doch?
    „Nein!“, rief sie und rannte mit geballten Fäusten weiter. Der Pfad mündete in eine dichte Nebelwand. Amber zögerte, bevor sie sich dann entschied, dem Pfad nicht zu folgen und stattdessen den Wald zu betreten. Im Nebel wäre sie blind den dämonischen Attacken ausgeliefert.
    Sie war schon eine Weile gegangen, als sie ganz in der Nähe das Kichern einer Frau hörte. Etwas Gelbes huschte an ihr vorbei und verschwand zwischen den Bäumen. Amber übersprang einen schmalen Graben und erkannte eine blonde Frau in einem gelben Overall, die vor ihr davonrannte. Kichernd warf die Blonde einen Blick über die Schulter zurück, als wolle sie Amber necken und verbarg sich hinter einem Baum. Amber erreichte kurz darauf atemlos die Stelle, an der sie die Frau aus den Augen verloren hatte. Ihr Blick glitt suchend zwischen den Bäumen umher, ohne sie zu entdecken. Diese raffinierten Dämonen waren ihr einen Schritt voraus! Sie hatten damit gerechnet, dass sie die Nebelwand umging und in den Wald lief. Amber bereute ihren Entschluss, aber umkehren mochte sie auch nicht.
    Das Knacken eines Zweiges ließ sie herumfahren. Wieder folgte das Kichern. Sie durfte sich nicht irritieren lassen. Der Boden wurde morastig, sie sackte knöcheltief ein. Alles fühlte sich so echt an, als stecke sie in ihrem Körper.
    Das Kichern verstummte. Stille. Eine seltsame Stille, wie auf einem anderen Planeten. Wie gebannt verharrte sie, wartete auf einen Angriff. Ihr Blick flog umher, suchte jeden Zentimeter ab.
    Plötzlich schoben sich ein Dutzend Hände aus dem Moorboden vor ihr, dann tauchten Arme und Köpfe auf. Amber erstarrte beim Anblick der bleichen Frauenköpfe, die sie böse anglotzten. Die Toten aus Gealach. Sie hatte Fotos von ihnen gesehen, damals, in der Zeitung und im Fernsehen. Ihr wurde übel, sodass sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Das schaurige Klagegeheul ließ Amber schließlich kehrtmachen. Hier hielten sie keine zehn Pferde mehr.
    Prompt stolperte sie beim Umdrehen über eine Baumwurzel und fiel der Länge nach hin. Etwas umschlang ihren Knöchel. Amber strampelte, aber die Hand der Toten hielt sie fest. Sie holte aus und trat mit voller Wucht gegen den Kopf. Zwar trennte sie mit dem Tritt den Schädel vom Rumpf, aber die Hand hielt sie noch immer eisern umklammert. Je mehr Amber zappelte, desto fester schlossen sich die bleichen Finger um ihren Fuß und zogen sie rückwärts. Sie fluchte.
    „Geister der Erde, helft eurer Tochter“, murmelte sie, während ihre Finger sich in die feuchte Erde krallten und Rillen zogen. Warum halfen ihr die Schutzgeister nicht?
    Als der Boden zu beben begann, wurde sie losgelassen. Amber sah zurück. Das Moor versank und zog
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