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Moloch

Titel: Moloch
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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eine kleinere Welt als begleitender Schauplatz am Himmel einer größeren Welt zeigte. Diego hatte für diesen fantastischen kleinen Gefährten den Begriff ›Sororal‹ erfunden. Dem Zeichner – Gropius Catternach, der im letzten Monat bereits bei einer anderen von Diegos Geschichten hervorragende Arbeit geleistet hatte – war ein fantasievolles Himmelsschiff gelungen, das zum Sororal abhob, der seinerseits als eine ferne Ringfläche mit topographischen Merkmalen schwach skizziert war.
    Diego bekam seine Bestellung vorgesetzt, und gedankenverloren begann er zu essen, während er mit einer Mischung aus Vergnügen und Angst seinen eigenen Text überflog. Er erschrak, als er die ersten Tippfehler entdeckte. Beim dritten beschloss er, sich seinen Redakteur Winslow Compounce wegen der oberflächlichen Arbeit der MW -Korrektoren vorzuknöpfen.
    Nachdem er mit dem Frühstück und der Geschichte fertig war, bezahlte Diego, sah auf die Uhr, schrak zusammen, als er erkannte, wie nahe die mahnenden Zeiger bereits an der Elf waren, dann machte er sich eilig auf den Weg.
    Er überquerte den Broadway bei Block Gritsavage-842 und sah nur ein Stück weit entfernt das Gleiswärts-Gebäude, in dem sein Vater lebte. (War es mit einem Mal wärmer geworden? Er schlug den Kragen herunter.) In dieser Gegend waren die Fußwege aus altmodischem Schiefer, Vermächtnis eines wagemutigen Bürgermeisters, der lange vor Diegos Geburt regiert hatte, und einer unerwarteten Spende an Steinen, ausgespuckt von einem Zug oder einem Schiff. Auf diesen zinngrauen Platten hatte sich scheinbar Diegos gesamte Kindheit abgespielt. Häufige Stockball- und Ringolevio-Partien, aufgescheuerte Knie, Triumphrufe und tränenreiches Schniefen. Schon seltsam, wie Kindheitserinnerungen, die nie weit unter der Oberfläche lauerten, ihre prophetischen Umrisse aufsteigen ließen!
    Diego blieb vor einem der beeindruckenden Gebäude mit seinen Säulen und den Bogenfenstern stehen – einer Filiale des Öffentlichen Büchereisystems von Gritsavage. Hier – zu allen Jahreszeiten gemütlich zurückgezogen, vom Sommer, wenn die Asche und der Staub von den Gleisen durch die Fenster getragen wurden und sich auf Simse und Kleidung legten, bis hin zum Winter, wenn das Eis die alles verschmutzenden Partikel am Boden hielt und eine willkommene Abwechslung brachte – hatte sich Diego mit einem Buch zusammengekauert, um herauszufinden, was aus ihm werden konnte.
    Passanten rempelten Diego im Vorbeigehen leicht an und rissen ihn aus seinen Gedanken, woraufhin er weiterging.
    Gerade noch zwei Gebäude von dem seines Vaters entfernt überkam ihn das Verlangen nach einer Zigarette – wahrscheinlich eine unterbewusste Taktik, um Zeit zu schinden, dachte Diego sarkastisch – und ließ ihn einen Abstecher zu Evensons Gemischtwarenladen machen.
    Das kleine, randvolle Geschäft hatte sich seit Diegos Kindheitstagen kaum verändert. Hinter der Theke war ein rundlicher Mann mit Glatze damit beschäftigt, die Regale mit einer schier mechanischen Präzision aufzufüllen: Prosper Evenson. An der Registrierkasse, die noch mit Handkurbel bedient wurde, stand seine Frau Esmin, gerade mal halb so groß wie ihr Mann, mausgrau gekleidet und schweigsam.
    »Hallo Prosper, hallo Esmin. Wie geht das Geschäft?«
    »Nicht schlecht«, erwiderte der Mann, bevor seine Frau den Mund aufmachen konnte. »Was darf es heute sein, Sir?«
    »Ein Päckchen Seraglios bitte, und Streichhölzer.«
    Prosper legte alles mit äußerst sparsamen Bewegungen auf die Theke, während Esmin die Beträge eintippte. Diegos Blick fiel auf ein neues Lotteriebrett gleich neben der Kasse, und er sagte: »Ich will auch noch mein Glück versuchen.«
    »Zehn Fünkchen« murmelte Esmin. Diego legte die Münzen hin und bekam im Gegenzug ein Instrument ausgehändigt, das aussah wie eine kurze dünne Ahle mit einem rechtwinkligen Griff.
    Das farbenfroh bedruckte, aufrecht stehende Lotteriebrett, das gut sechzig Zentimeter breit, fast einen Meter hoch und zwischen zwei und drei Zentimeter tief war, wies fast auf seiner gesamten Fläche Hunderte von kleinen, mit Metallfolie überzogene Löcher auf. Das obere Viertel des Bretts war einer nicht zu übersehenden Eigenwerbung vorbehalten: ein grausig kolorierter Cartoon einer Frau in einem Neglige, die in ihrem Schlafzimmer von einer Heerschar von Spannern beobachtet wurde, dazu eine Reihe von marktschreierischen Sprüchen über die Preise, die Chancen, Gewinnkombinationen und die Begeisterung
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