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Moloch

Titel: Moloch
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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ist, den Leuten zu sagen: nein, ihr habt euch getäuscht, der Junge hat Talent, ihr müsst sein Potenzial für irgendetwas nutzen!
    Auf einmal möchte ich wieder jeden Tag um acht Uhr morgens auf der Matte stehen, mir die Seele aus dem Leib schuften und mit den jungen Hüpfern einen trinken gehen. Ich möchte wieder etwas bewirken, und sei es auch nur durch irgendeinen unbedeutenden Job in einem Büro.
    So sehe ich mir ein Gesicht nach dem anderen an, und Silhouette ist nicht dabei. Keine Spur von ihm.
    Und dann stoße ich auf meine eigene Akte. Ich starre in mein eigenes Gesicht. Hey, vielleicht ist der TypSilhouette.
    Als ich das Foto zum ersten Mal sah, fand ich es furchtbar. Das bin ich nicht, dachte ich, das ist nicht der Brewster. Wer ist dieser alte Kauz mit dem Doppelkinn? Jetzt betrachte ich es erneut und stelle fest, dass ich auf diesem Foto fast noch mein volles Haar habe. Es ist schwarz, und ich denke: Wie jung ich aussehe.
    Ich lese den Bericht, in dem etwas von einem Mann im mittleren Management steht, der ein paarmal befördert wurde. Kein Wort darüber, dass ich mir die mehrfach abgesicherten Mustererkennungsschleifen habe einfallen lassen, dass ich der Erste war, der Quantencomputer für Sicherheitsprogramme benutzt hat. Kein Wort darüber, dass ich es war, der dem Firmenvorstand von ISO 20203 erzählt hat. Dass wir Singapur, Korea und schließlich China nur als Kunden gewinnen konnten, weil wir diesen Standard auch bei uns eingeführt hatten.
    Was der Bericht dagegen enthält, ist das Datum meiner Pensionierung. Und ganz unten steht: »Ist ohne ersichtliche Sicherheitsgefährdung ausgeschieden. Keine herausragenden Leistungen.«
    Keine verdammten herausragenden Leistungen? Was hatte ich erwartet, ein Dankeschön? Eine Firma, die versucht, ihren Mitarbeitern Anerkennung zu zollen? Ich denke, ich hatte mir vorgestellt, dass ich ein paar Spuren hinterlassen würde. Immerhin habe ich einige ziemlich außergewöhnliche Dinge für den Laden gemacht, bedeutende Sachen, für die ich von einer riesigen Versammlung meiner Kollegen mit stehendem Applaus belohnt worden bin. Doch die Firma möchte nicht, dass ihre Angestellten Spuren hinterlassen. Sie möchte den Ruhm selbst ernten. Was ihr aber auch nicht gelingt.
    Wir alle verschwinden einfach in Vergessenheit.
    Und ich spüre, wie die Furcht in mir hochkriecht.
    Oh, man kann sie ausblenden, diese Furcht. Man kann ihr den Rücken zuwenden und sie ignorieren. Oder sich von ihr lähmen lassen. Was man jedoch nicht tun kann, ist das, was man mit anderen Ängsten tun würde. Sie frontal angehen. Denn sie wird nicht zurückweichen. Weil es die Furcht vor etwas ist, das man nicht besiegen, sondern nur akzeptieren kann.
    Der Tod lässt einem nur die Möglichkeit, ihn anzunehmen, und wenn man das in unserem Alter tut, steht man schon mit einem Bein im Grab. Nimmst du ihn an, kann er dich holen.
    Stattdessen reagiert man mit einer Art von Zorn. Man verhält sich so, wie man es tut, wenn man in eine Falle getappt ist. Man windet sich.
    Ich finde keine Ruhe, ich torkele und wanke herum, als wäre ich stoned und betrunken zugleich, denn mein Zimmer ist wie ein Sarg, und die Dunkelheit kommt mir so vor, als hätte ich die Augen bereits für immer geschlossen. Ich taumele wie eine gottverdammte ferngelenkte Marionette durch den Flur, prelle mir die Rippen an den Wänden, und es ist mir egal.
    Und dann sehe ich einen Lichtstreifen unter Mandys Tür. Ich habe kein Hemd an, aber zum Teufel damit. Ich habe Angst, und ich kann es mir nicht leisten, Angst zu haben. Also klopfe ich an die Tür.
    »Ein bisschen früh für einen Besuch«, sagt Mandy. Sie betrachtet meine schlaffen Brustmuskeln. »Wollen Sie mich zum Schwimmen einladen?«
    Sie ist noch immer geschminkt, sie wirkt wach und sieht großartig aus, als wäre dies ein herrlicher, wunderbarer Samstagabend.
    Allmählich finde ich in die Normalität zurück. »Ich… ich muss einfach mit jemandem reden. Störe ich?«
    »Nicht sonderlich. Ich hasse die Nächte ebenfalls.« Sie macht kehrt und lässt die Tür offen.
    Es riecht nach Parfüm in ihrem Zimmer. Auf dem Bett liegen rund acht Stofftiere, Hundewelpen und Schildkröten. Ein riesiger lavendelfarbener Teddybär sitzt auf dem Regal, noch immer in Zellophan eingehüllt und mit einer gewaltigen purpurroten Schleife umwickelt.
    »Ich habe nichts«, sagt sie und schnipst mit ihren künstlichen Fingernägeln in Richtung des Fernsehmonitors. Einen Moment lang glaube ich, sie
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