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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman
Autoren: Jan Schröter
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»Und?«
    Fredo schüttelte deprimiert den Kopf. »Wir müssen es deinen Eltern sagen.«
    Das Mädchen nickte und reichte ihm stumm das Telefon. Die Stunde der Wahrheit, dachte Fredo und atmete noch einmal tief durch. Dann wählte er die Nummer. Zum Glück meldete sich Markus diesmal.
    »Fredo, hallo, es passt jetzt gerade gar nicht, ruf bitte später …«
    »Mund halten. Zuhören. Bitte, Markus. Ist Nicole auch da?«
    »Ja, aber …«
    Fredo würgte jeden Einwand seines Bruders ab. Und dann legte er los. Berichtete knapp und eindringlich die dramatischen Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden. »Natürlich kann es sein, dass Tim sich bloß irgendwo verkriecht, bald selbst davon die Nase voll hat und zurückkommt. Das ist möglich und das hoffen wir alle. Ich verspreche euch, alles dafür zu tun, um ihn zu finden. So ist der Stand der Dinge, Markus …«
    Am anderen Ende herrschte entsetztes Schweigen. Dann hörte Fredo seinen Bruder beinahe tonlos sagen: »Wir nehmen den nächsten Flieger.«
    »Ja«, gab Fredo nur zur Antwort und legte auf.

    Es wurde wieder dunkel. Tim fürchtete sich vor der Nacht. Er wollte nicht im Dunkeln sterben. Er wollte überhaupt noch nicht sterben. Wenigstens stand genug Wasser auf dem Morast, das er mit dem Mund erreichen konnte, wenn er sich ein wenig zur Seite bewegte. Das tat dann zwar schrecklich weh im verletzten Fuß, und das Wasser schmeckte nach modrigem Waldboden, aber irgendwann im Laufe des Tages war sein Durst größer geworden als der Schmerz. Er versuchte, alle Gedanken daran zu verdrängen, was passieren würde, wenn man ihn nicht fand. Er beschwor sich, nicht so weit vorauszudenken. Zählte im Geiste Minuten herunter, teilte die Zeit in kleine Portionen, um die Kontrolle darüber nicht auch noch zu verlieren. Hoffte auf Rettung, die bald, sehr bald eintreffen würde. Sein Herz schlug den Takt dazu.

    »Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
    am Steuer aber lagert sich’s dicht,
    und ein Jammern wird laut: ›Wo sind wir? Wo?‹
    Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo.«

    Wieder war er fast die ganze Nacht umhergefahren, immer auf der Suche. Erst als er vor Erschöpfung fast am Steuer einschlief, gönnte sich Fredo eine Auszeit im eigenen Bett. Schlafen konnte er lange Zeit trotzdem nicht. Und als er endlich die Augen zubekam, träumte er Bilder von Tim. Bilder, die er nicht sehen wollte. Dann träumte er friedlicher, sah Tim, wie er ihn viele Male erlebt hatte: auf dem Fahrrad in die Einfahrt preschend, versunken vor dem Computermonitor, am Küchentisch mit einem Pizzastück in der Hand.
    Und dann sah er ihn zusammen mit seinem Freund, dem Jungen mit dem Ziegenbärtchen und dem Pferdeschwanz. Der Fürst der Finsternis. Tims einziger Freund.
    Der stand Fredo noch vor Augen, als er morgens erwachte. Patrik Stenzel. Natürlich hatte die Polizei sofort sämtliche Freunde, Bekannte und Klassenkameraden Tims befragt. Patrik als einen der Ersten. Die Frage war bloß, was ein Junge wie Patrik der Polizei erzählte. Fredo erinnerte sich, wie er Tim neulich gefragt hatte, als der zu Patrik wollte: Was macht ihr so? Und er erinnerte sich auch an Tims ausweichende Antwort: Ich hab ihm versprochen, dichtzuhalten, bis alles über die Bühne gegangen ist.
    Es gibt ein Geheimnis zwischen den beiden Jungen, dachte Fredo. Vielleicht hilft das weiter. Möglicherweise kennt Patrik Tims Versteck. Versorgt ihn heimlich mit Lebensmitteln und warmen Decken. So eine Tom-Sawyer-und-Huckleberry-Finn-Geschichte. Hoffnung keimte in Fredo auf. Vielleicht offenbarte Patrik ihm, was er der Polizei nicht verraten wollte.
    Fredo sah auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, könnte er noch vor Unterrichtsbeginn in der Schule sein und Patrik abfangen. Notfalls würde er den Jungen auch direkt aus dessen Klassenzimmer kapern. Fredo schoss im Eiltempo durchs Badezimmer, zog sich an und sagte Karla Bescheid, wohin er ging. Gesche schlief noch, aber Karla hatte schon gestern erklärt, sie würde nicht zur Schule gehen und bei der Uroma bleiben, bis ihre Eltern zu Hause einträfen. Fredo konnte sich also voll auf seine Mission konzentrieren und fuhr mit dem Auto zur Schule.
    Er erreichte die Aula knapp vor dem Signal zur ersten Unterrichtsstunde. Das morgendliche Gedränge war Fredo noch aus eigener Schulzeit vertraut, doch im Gegensatz zu früher kam ihm heute kaum ein Gesicht bekannt vor. Immerhin entdeckte er im Getümmel Helena, die ihm aufgeregt zuwinkte. Fredo schlug sich zu ihr durch. Sie sah
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