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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman
Autoren: Jan Schröter
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Patrik. Sogar seine Mitschüler wollte er wiedersehen. Und die vielen Menschen, denen er nie begegnet war, die er noch nicht kennenlernen konnte. Leben. Bis vor ein paar Stunden hätte er noch geglaubt, das bedeute ihm nichts.
    Ich will, dachte Tim. Ich halt’s.

    »Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.«

    Die Polizei fand das Fahrrad mit dem platten Reifen am frühen Nachmittag. Die Nachricht verbreitete sich in Bornstedt wie ein Lauffeuer. Bis dahin hatten sich längst Freiwilligen-Suchtrupps rekrutiert, die schon den ganzen Tag über Ort und Umland absuchten. Jetzt konzentrierte sich alles auf das ausgedehnte Waldgebiet, an dessen Rand das Fahrrad entdeckt worden war.
    Knödel schickte seine komplette Fußballmannschaft ins Unterholz. Er selbst bezog Posten auf einem Jäger-Hochsitz – »besserer Überblick«, wie er sich Fredo gegenüber rechtfertigte, der gemeinsam mit Briegel Schulz auf die Pirsch ging. An einem Forstweg begegneten sie Patrik Stenzel, der seine Klassenkameraden anführte und die Gruppe an der nächsten Ecke halten ließ. Der Junge mit dem Ziegenbart hob die Hand wie ein Feldherr und genoss einen Augenblick lang die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Mitschüler. Endlich, dachte er. Endlich hören sie mir mal zu. Dann senkte er den Arm: »Hobbithaufen: Ausgeschwärmt!«

    Eines der Mädchen aus Patriks Klasse blieb bei der Suche ein wenig zurück, durchaus mit Absicht. Sie musste dringend pinkeln. Das musste sie immer, wenn es aufregend wurde. Und aufregender als das hier ging es ja wohl nicht mehr, oder? Also sonderte sie sich ein bisschen von den anderen ab und drang noch ein gutes Stück abseits des Weges in den Wald ein. Schließlich legte sie keinen Wert darauf, von einem der anderen mit heruntergelassener Hose gesichtet zu werden. Am Ende filmte das einer noch mit dem Handy, und plötzlich ist man Hit des Tages auf YouTube. Nein, Leute, nicht mit ihr. Sicherheitshalber legte sie noch ein paar Meter drauf, bis sie von den Klassenkameraden nichts mehr sah und hörte, dann fand sie eine Böschung, hinter der es abwärts ging. Ein Graben, gute Deckung, dachte das Mädchen, zog sich Jeans und Slip herunter und hockte sich in Stellung. Da vernahm sie hinter sich ein Stöhnen, wandte erschrocken den Kopf, blickte direkt in ein dreckverschmiertes, aber schwach lächelndes Gesicht. Und konnte schlagartig nicht mehr pinkeln.
    Obwohl sie mit Sicherheit noch niemals etwas Aufregenderes erlebt hatte als dies.

    Markus und Nicole fuhren direkt vom Flughafen ins Krankenhaus, per Taxi. Fredo empfing Bruder und Schwägerin in einem Stationswartezimmer, dessen Ambiente im ewigen Licht einer grellen Neonröhre so viel Trostlosigkeit verbreitete, dass man dem Jenseits gelassen entgegensah – schlimmer könnte es kaum werden.
    »Tim übersteht es«, berichtete Fredo gleich. »Der Knöchel ist gebrochen, er wird gerade operiert. Aber es ist nicht allzu kompliziert. Es wird kein Schaden bleiben, meinen die Ärzte …«
    »Gott sei Dank«, ächzte Markus und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Auch Nicole atmete erleichtert auf. Sie wirkte trotz ihrer Aufregung sehr beherrscht, fiel Fredo auf – gar nicht so ein Nervenbündel wie gewöhnlich. »Konntest du mit ihm sprechen?«, fragte sie ihn.
    Fredo nickte. »Ich hab ihm gesagt, dass ihr im Anmarsch seid. Das hat ihn sehr gefreut. Er ist zwar ziemlich entkräftet, aber sonst ganz gut drauf.«
    »Wenn Tim jetzt noch im OP liegt, wird er den Rest der Nacht schlafen. Ich möchte bei ihm sein, wenn er aufwacht«, bestimmte Nicole. »Morgen brauche ich dich dann als Ablösung, Markus. Fahr du jetzt nach Hause. Du am besten auch, Fredo. Karla braucht sicher auch Hilfe bei Gesche.«
    Nicole hatte zweifellos recht. Früher hätte sie sich so viel Initiative trotzdem verkniffen, dachte Fredo. Markus fügte sich widerstandslos und verabschiedete sich von seiner Frau mit einem schnellen Kuss auf die Wange.
    »Bis morgen dann …«
    Im Fahrstuhl schwiegen sich die Brüder an. In der Tiefgarage stutzte Markus beim Anblick der arg mitgenommenen Mercedes-Limousine. »Das ist mein Wagen?«
    »Du darfst dich aufregen. Aber erst, wenn du dein Haus gesehen hast.«
    Markus verlor kein weiteres Wort. Auch die Fahrt verlief in Schweigen. Fredo parkte in der Einfahrt und dankte im Stillen dem Himmel für die Dunkelheit der Nacht. Leider schien der Mond. Die leeren Fensterrahmen von Gesches Wohnung waren deutlich zu erkennen, und am Rande der Einfahrt lagen noch ein paar
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