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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman
Autoren: Jan Schröter
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Wintergarten nach draußen. Wie auf Kommando setzten sich alle anderen in Bewegung und folgten dem Mädchen. Einer der graugewandeten Männer versuchte sie aufzuhalten. »Bitte wegbleiben! Wir werden erst einen Spezialroboter …«
    Karla schlug flink einen Haken, hüpfte in die Grube und tauchte mit dem kleinen Päckchen wieder auf. Die Umstehenden wichen unwillkürlich zurück, sogar Briegel. Nur Gesche und Fredo blieben ungerührt stehen. Karla riss das Klebeband herunter und entblößte eine Pappschachtel, die sie öffnete und den Polizisten im Licht des Scheinwerfers entgegenhielt. Der Einsatzleiter traute sich als Erster heran.
    »Was? Ist? Das?«
    Karla betrachtete den kleinen Kadaver traurig. Er war verschrumpelt, eingetrocknet und wäre wohl auch als vergammelte Trockenpflaume durchgegangen. »Das ist …«, begann sie, um sich sogleich zu verbessern: »Das war Speedy. Mein armes, süßes Mäuschen. Was machen wir nun mit dir, mein Kleiner …«
    »Deckel drauf und ab in die Grube«, bestimmte Fredo energisch. »Die Herren Polizisten schütten zu und räumen ihren Kram zusammen! Und dann, Leute – dann suchen wir Tim!«

    Erst war er zu Fuß auf Schleichwegen bis zum Stadtrand gelaufen. Dort hatte Tim vor einem Wohnblock einen offenen Fahrradschuppen entdeckt. Gleich mehrere der darin abgestellten Räder waren nicht abgeschlossen gewesen. Er wählte eines aus, das nicht danach aussah, als würde es oft benutzt, und fuhr auf Nebenwegen dorthin, wo es möglichst wenig nach Zivilisation aussah.
    Am Rande eines ausgedehnten Waldes verlor der Hinterreifen rapide Luft. Tim fuhr noch ein paar hundert Meter auf der Felge weiter, dann ging es nicht mehr. Er zog das Rad zwischen die Bäume, unter Dickicht verborgen, und drang zu Fuß immer weiter in den Wald ein. Es regnete unaufhörlich, Blitze zuckten über den Himmel und Donnerschläge begleiteten sie krachend. Wenigstens war es nicht kalt. Dafür stockdunkel, wenn nicht gerade ein Blitz für eine gleißend illuminierte Momentaufnahme sorgte. Der Junge verlor jede Orientierung. Kein Weg weit und breit, nur Bäume. Mehrmals geriet Tim ins Stolpern und stürzte, dabei ging irgendwann sein Handy verloren. Er hätte zwar sowieso niemanden anrufen wollen, aber gerne gewusst, wie spät es war. Obwohl die Uhrzeit eigentlich keine Rolle spielte. Tim hatte keine Ahnung, was für ihn überhaupt noch eine Rolle spielte. Warum laufe ich weiter, dachte er, wenn ich nicht weiß, wohin?
    Erst, als er jetzt stehen blieb, spürte er seine bodenlose Erschöpfung. Die Einsamkeit, die ihn umgab, ließ ihn erzittern. Der Regen rauschte, die Bäume ächzten im Wind. Und dann zuckte plötzlich ein Blitz so grell über den Himmel, dass Tim unwillkürlich einen großen Satz machte, geblendet, orientierungslos. Seine Füße gerieten in Schieflage, fanden keinen Halt mehr. Er rutschte ab, blieb hängen, spürte einen stechenden Schmerz im rechten Fußgelenk. Und während der folgende Donnerschlag seine Ohren betäubte, versank Tim in Schlamm und Nässe.

23.
    F redo fegte die Splitter von der Einfahrt. Dann besah er sich den Mercedes, der vor der Garage stand und auch gestern dort geparkt hatte – weshalb die Karosserie nun flächendeckend mehr oder weniger große Einschläge und Krater aufwies, als hätte man die Limousine mit Schrotflinten ins Kreuzfeuer genommen. Im Dachgeschoss wehten vor leeren Fenstern zerfetzte Gardinenreste im Wind. Wenigstens lohnte es sich jetzt wirklich, einen Glaser anzurufen – seine Terrassentürscheibe müsste ja auch noch erneuert werden. Ein Gärtner wäre gut, um den umgepflügten Rasen zu richten. Ein Maler für Gesches rußgeschwärzte Wohnung. Der könnte auch gleich den Rußfleck an der Küchendecke übertünchen. Dachdecker für die losen Ziegel. Eine Putzkolonne für den ruinierten Wohnzimmerteppich. Und, wenn man es ehrlich betrachtete, wäre eigentlich ein neues Auto fällig. Oder zumindest eine Komplettlackierung.
    Das alles regte Fredo nicht unmäßig auf. Aber Tim fehlte, und Fredo stellte fest, dass ihm dagegen alles andere – inklusive seiner eigenen Berufs-, Liebes- und Lebensprobleme – als völlig unwichtig erschien. Ich sollte auf die Kinder aufpassen, dachte er, und ich habe versagt. Dass ich ein Versager bin, ist dabei bei weitem nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass sich Tim so im Stich gelassen und alleine fühlt, dass er nicht mehr weiß, wo sein Zuhause ist.
    Fredo hatte fast die ganze Nacht lang nach dem Jungen
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