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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman
Autoren: Jan Schröter
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1.
    I ch liebe dich.«
    So, wie es da auf seinem Monitor stand, sah es armselig aus. Nach gar nichts. Fredo Fried drückte entschlossen die »Löschen«-Taste und sah zu, wie der rasende Curser die letzten drei Worte und den ganzen Dialog davor auffraß, bis nur noch die nackte Storyline-Vorgabe für diese Szene übrig blieb. Lies es noch mal, sagte sich Fredo.
Bild 22, Innen, Nacht, trendiger Club: Lara sitzt mit ihrer Kollegin Tina und deren Freund Fabian in der Chillout-Zone. Während Tina zur Toilette verschwindet, gesteht Lara Fabian ihre Liebe. Der kann der Versuchung nicht widerstehen. Tina kehrt zurück und sieht Kollegin und Freund wild miteinander knutschen (Episodenende).
    Okay, überlegte Fredo, Tina geht zur Toilette. Sie ist ein einfaches, geradliniges Mädel und verabschiedet sich bestimmt mit einem Spruch wie: »Ich geh mal eben ins Recycling-Center!« Oder so ähnlich. Lara, die junge Wilde vom Lande, die seit nunmehr 128 Folgen Telenovela »Lara – eine Unschuld in Berlin« in emotionaler Achterbahnfahrt alle Höhen und Tiefen des Großstadtlebens auslotet, wendet sich dem coolen Fabian zu und sagt … und sagt …
    Was sagt sie wohl?
    »Ich liebe dich.«
    Abgeschmackt. Klischee. Fade. Im Prinzip zwar die Aussage, die man braucht, aber so was von langweilig, da zappt jeder sofort aufs nächste Programm. Vor allem die Teenager, die Hauptzielgruppe. Für die wurde »Lara« produziert. Lara war neugierig, lebensbejahend, risikofreudig bis an den Rand des Wahnsinns und probierte gerne etwas aus. Möglichst in jeder Folge etwas Neues. Die sagte nicht einfach: »Ich liebe dich«, wenn sie sich den Kerl schnappen will und weiß, sie hat nur fünf Minuten, bis dessen Freundin vom Klo zurückkommt.
    Warum eigentlich nicht, sinnierte Fredo – eigentlich will man in so einer Situation doch ein ehrliches Gefühl zum Ausdruck bringen. Im richtigen Leben jedenfalls, nicht bloß in einer Fernsehserie. Doch kaum findet man jemanden toll und will das auch sagen, geht es gleich wieder nur um die Selbstinszenierung. Kaum schlägt die Liebe ein, beginnt der Schaulauf. Nicht ehrlich sein, sondern originell wirken – das macht attraktiv. Verlogen und öde. Dabei könnte man alles in drei einfachen Worten sagen. Aber auf dem Monitor sah das einfach nicht gut aus. Vielleicht, wenn man es ausspricht … Sag es, Fredo, sag es einmal laut und deutlich.
    »Ich liebe dich!«
    »Ich dich ja auch, Schatzi. Aber die Folge 129 muss trotzdem heute noch fertig werden!«
    Fredo hatte einen Moment lang vergessen, dass er sich sein Büro bei der SIGMA TV PRODUKTIONS GmbH mit Bert Schmidtbauer teilte – ein kleines Kabuff mit Blick auf die triste Industrielandschaft zwischen Tempelhof und Teltowkanal. Diese trübe Aussicht genoss man allerdings nur vom schmalen Fenster aus, und dort stand Berts Schreibtisch. Fredos Tisch stand an der Wand, was dem firmeninternen Stellenwert des Dialogautors entsprach. Als solcher befand man sich bei der SIGMA am unteren Ende der Nahrungskette, was Fredo nicht besonders störte. Bert, zuständig für die Storylines der Telenovela, grinste seinen verwirrt aufschauenden Kollegen an.
    »Hast du die 129 schon angefangen?«
    Fredo schüttelte den Kopf. »Bin beim letzten Bild der 128.«
    »Oha. Dann wird’s wohl wieder eine lange Nacht für dich.«
    »Sieht so aus.« Fredo seufzte. »Wie sagst du: Ich liebe dich?«
    »Brauche ich nie.«
    »Niemals?«
    »Ich liebe nur mich. Und das ohne Worte.«
    Bert blickte selbstzufrieden drein wie ein in sich ruhender Buddha. Ein Bonsai-Buddha, dachte Fredo. So wirkte Bert Schmidtbauer immer. Möglicherweise lag das an seinen Klamotten – immer zwei Nummern zu groß und chronisch ungebügelt. Berts Camouflage-Trick Nummer eins, um seine lächerlichen gut eineinhalb Meter Lebendgröße zu kaschieren. Trick zwei war seine vorlaute Klappe. Doch bevor Fredo einen Verbaldämpfer abfeuern konnte, platzte jemand ins Büro, ohne anzuklopfen.
    »Wie weit seid ihr, Jungs?« Plöger, Schweißperlen auf der Stirn, verbreitete Hektik, wie üblich. Wahrscheinlich glaubte er, in seiner Position als Chefautor müsste das einfach so sein. »Wir brauchen die 128! Schon seit einer Stunde! Und die 129 spätestens morgen früh!«
    »Die Storylines sind fertig«, rapportierte Bert eilfertig.
    Plöger wandte sich Fredo zu. »Und die Dialoge?«
    Fredo zuckte lässig mit den Achseln. »Morgen früh, kein Problem. Bleibe ich eben noch ein paar Stunden hier. Schreibt sich eh besser,
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