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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman
Autoren: Jan Schröter
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Migränekranker: Tür zu, Vorhang dicht, Licht aus, alle draußen bleiben. Er sehnte sich nach eintöniger, wattebäuschiger Langeweile. Keine Aufreger, keine Herausforderungen. Und plötzlich verdichtete sich diese Sehnsucht auf einen Namen.
    Bornstedt.
    Ein Anruf bei Markus ergab, dass sich noch niemand als Haus- und Kinderhüter gefunden hatte. Es sah so aus, als würde Markus zunächst allein nach China aufbrechen müssen und Nicole erst nachreisen können, wenn sich doch noch eine Vertrauensperson aus dem Hut zaubern ließe. Fredo bot sich als Geist aus der Wunderlampe an, worauf sein Bruder zunächst mit ungläubigem Staunen und dann mit angemessener Begeisterung reagiert hatte.
    Vierundzwanzig Stunden später hielt der Mercedes auf einem Parkstreifen vor dem Flughafenterminal. Markus hetzte sofort los und organisierte eine Gepäckkarre, während Fredo bereits die Koffer aus dem Wagen wuchtete. Nicole stand nutzlos in der Gegend herum. Die Geschichte ihres Lebens, vermutete Fredo. Er schloss den Kofferraumdeckel und lächelte seiner Schwägerin aufmunternd zu.
    »Freust du dich?«
    Sie rang sich ein Nicken ab. »Ja, schon.«
    »Mach dir keine Sorgen wegen Karla und Tim. Wir kommen schon klar.«
    »Bestimmt. Nochmals vielen Dank, Fredo.«
    Markus kam mit der Karre herangerumpelt. Die Koffer waren im Nu aufgeladen.
    »Auf geht’s!«, verkündete Markus. Fredo umarmte Nicole kurz und wandte sich dann seinem Bruder zu.
    »Kommt bloß nicht vorzeitig zurück. Ich will mich erholen.«
    »Mach den Weinkeller nicht gleich in der ersten Woche leer, Kleiner!«
    »Du hast einen Weinkeller? Den brauchst du nach drei Monaten China nicht mehr. Dann stehst du bloß noch auf Tee und Reiswein.«
    Sie reichten sich die Hand, entschieden sich dann aber doch für eine Umarmung, die entsprechend ungelenk ausfiel.
    »Soll ich noch mit zum Check-in?«
    »Fahr lieber los, Gesche ist allein zu Haus.«
    Diese Vorstellung schien Nicole irgendwie zu beunruhigen. Fredo war es nur recht. Spätestens in der Warteschlange vor dem Schalter würden ihnen die Gesprächsthemen ausgehen, und dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Nicole in Tränen ausbrach. Das musste nicht sein. Auch Markus bevorzugte offensichtlich die Methode »kurz & schmerzlos« und warf Fredo spielerisch die Wagenschlüssel zu.
    »Lass den Benz heil. Hausschlüssel hast du ja schon. Wir melden uns gleich nach der Ankunft aus dem Hotel. Mach’s gut.«
    Bevor bei Nicole nun doch die Tränen liefen, schnappte sich Markus Frau und Gepäckkarre und rumpelte ins Terminal. Fredo stieg in den Wagen, richtete sich die optimale Sitzposition ein, gab dem Benz die Sporen und fädelte sich sportlich in den fließenden Verkehr.

    Fünfzig Kilometer Autobahn gen Norden reichten, um den Mercedes an die Grenzen der Schwerkraft zu katapultieren und ein Dauergrinsen in Fredos Gesicht zu zaubern, das erst an Strahlkraft verlor, als nach weiteren zehn Kilometern über Landstraßen, gesäumt von Knicks und schwarzbunten Holsteiner Milchkühen, das leuchtend gelbe Ortsschild Bornstedts in Sichtweite kam. Fredo erinnerte sich daran, wie sie als Jugendliche manchmal an Samstagabenden weggefahren waren. Meist nach Hamburg oder nach Kiel, mit irgendeinem aus der Clique, der schon den Führerschein und ein Auto besaß oder wenigstens von irgendwem eines ausleihen konnte. Zu viert oder zu fünft auf der Rückbank, mindestens zwei Leute auf dem Beifahrersitz – was ziemlich aufregend sein konnte, wenn genügend Mädchen dazwischen saßen. Und ziemlich ätzend, wenn man die Fahrt im Sandwich zwischen zwei pickeligen Jungstieren hinter sich bringen musste, die ihren samstagnachtfiebrigen Testosteronschweiß mit Billigdeodorant vom Discounter zu übertünchen versuchten – üblicherweise vergeblich. Nach durchfeierter Nacht am Puls der Großstadt ging es dann zurück. Und ganz gleich, in welcher Besetzung sie unterwegs gewesen waren, egal, ob der Mond noch schien oder bereits der Morgen graute: Bei Erreichen des Bornstedter Ortsschildes gab es ein festes Ritual. Anhalten, aussteigen, jeder einen Stein – und dann Feuer frei aufs Blech, als ließe sich so bereits im Voraus dafür Rache üben, dass man für eine weitere Woche im Kleinstadtkäfig festsaß. Bis zum nächsten Wochenende.
    Einem Spontanentschluss folgend ließ Fredo den Wagen ein paar Meter vor dem Ortsschild am Straßenrand ausrollen, stieg aus und betrachtete gedankenversunken die Blechtafel. Den Narben und Beulen auf dem Metall
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