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Wellentraum

Wellentraum

Titel: Wellentraum
Autoren: Virginia Kantra
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    1
    W enn sie nicht bald Sex hatte, würde sie noch verrückt werden.
    Getrieben von einem Flüstern im Wind, einem Pochen in ihrem Blut, tauchte sie durch das tiefblaue Wasser, das sie wie eine warme Strömung trug. Der lavendelfarbene Himmel war von rosa Tupfen und verwaschenen indigoblauen Wolken durchzogen. Am Strand züngelte Feuer von den Felsen und erglühte in der Hitze der ersterbenden Sonne.
    Ihr Gefährte war tot. So lange schon, dass der nagende Schmerz, das frische, grelle Aufwallen von Wut und Kummer abgeebbt und geheilt war und nur eine Narbe auf ihrem Herzen hinterlassen hatte. Sie vermisste ihn kaum noch. Sie erlaubte es sich nicht, ihn zu vermissen.
    Aber ihr fehlte der Sex.
    Ihr Verlangen quälte sie, höhlte sie von innen her aus. Seit kurzem hatte sie das Gefühl, als würde sie allmählich zu einer bloßen Haut, einer Hülle ausgeschabt, leblos und leer. Sie wollte berührt werden. Sie sehnte sich danach, wieder erfüllt zu sein, jemanden in sich zu spüren, tief in ihr, hart und drängend.
    Die Erinnerung daran ließ ihr Blut schneller fließen.
    Sie ritt auf den Wellen ans Ufer, angezogen von der Wärme der Flammen und der Hitze der jungen Körper, die sich dort versammelt hatten. Gesunde junge Körper von Männern und Frauen.
    Zumeist aber von Männern.
     
    Irgendein verfluchter Idiot hatte auf der Landspitze ein Feuer entzündet. Polizeichef Caleb Hunter entdeckte den Lichtschein von der Straße aus.
    Die Mainer empfingen die meisten Besucher an ihrer Küste mit offenen Armen. Aber Bruce Whittaker hatte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Toleranz der Inselbewohner nicht so weit reichte, dass sie Lagerfeuer am Strand duldeten.
    Caleb hatte keine ausgesprochene Abneigung gegen Strandfeuer, solange diejenigen, die sie entfachten, die ausgewiesenen Picknickstellen benutzten oder sich eine Genehmigung besorgten. An der Landspitze war es nicht unwahrscheinlich, dass der Wind Funken zu den Bäumen trug. Die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, zumeist Fischer, ließen sich nicht gern aus dem Bett holen, um die Fahrlässigkeit von Dritten auszubügeln.
    Caleb lenkte seinen Dienstjeep hinter die Fahrzeuge, die am Randstreifen abgestellt waren: einen aufgemotzten Wrangler, einen verboten schnellen Firebird und ein neueres Lexus-Modell. Alle mit New Yorker Nummernschildern. Noch zwei Wochen bis Memorial Day, und schon drängte Volk von auswärts auf die Insel. Es war Caleb egal. Der jährliche Besucherstrom im Sommer finanzierte sein Gehalt. Außerdem war World’s End im Vergleich zu Mosul oder Sadr City oder auch Portland weiter unten an der Küste ein verschlafenes Nest. Selbst in der Hochsaison.
    Caleb hätte zur Polizei von Portland zurückkehren können. Herrgott, nach seinem gesundheitlich bedingten Abschied von der Nationalgarde hätte er überallhin gehen können. Seit dem 11 . September, der Einberufung von Reservisten und den Auflagen des Heimatschutzministeriums waren die Polizeibehörden der meisten Großstädte unterbesetzt und überfordert. Da war ein hochdekorierter Kriegsveteran höchst willkommen – selbst einer, dessen linkes Bein von genug Schrauben und Platten zusammengehalten wurde, um jedes Mal beim Betreten der Wache den Metalldetektor außer Gefecht zu setzen.
    Als Caleb gehört hatte, dass sich der alte Roy Miller in den Ruhestand verabschieden würde, hatte er sich um den Job des Polizeichefs von World’s End beworben und in seinem Krankenhausbett mühevoll an seinem Lebenslauf gefeilt. Er wollte keine Verhaftungen oder Schlagzeilen mehr. Er wollte einfach nur den Frieden bewahren, seinen persönlichen Frieden finden und auf Streife gehen, ohne dass auf ihn geschossen wurde. Wieder den Wind auf seinem Gesicht spüren und das Salz in der Luft riechen.
    Und eine Straße entlangfahren, ohne dass die Welt um ihn herum explodierte.
    Er schob das steife Knie um das Lenkrad herum und stieg aus dem Jeep. Die Scheinwerfer ließ er eingeschaltet. Sich ohne Rückendeckung nach Einbruch der Dunkelheit in abgelegenes Gelände zu begeben, rief ein vertrautes Prickeln zwischen den Schulterblättern hervor. Schweiß floss seine Wirbelsäule hinab.
    Lass es gut sein. Du bist auf World’s End. Hier passiert nie etwas.
    Was so ungefähr alles war, womit er derzeit fertig wurde.
    Nichts.
    Er durchquerte das Wäldchen, dankbar, dass dieser Strandabschnitt nicht aus glitschigem Fels bestand, und trat lautlos hinaus auf den Sand.
     
    Sie glitt windabwärts hinter
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