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Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Titel: Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
Autoren: Sutton Verlag GmbH
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natürlich   – Ja, eine wunderbare Idee   – Ja, gebe ich weiter   – Ja, der Senf sei mit dir, Bruder!«
    Dann trennte Lisa die Verbindung.
    »Freiheit für den Senf«, sagte der kleine, dicke Mann mit einem Augenzwinkern und ballte die rechte Faust. Lisa lachte. Dann schöpfte der kleine, dicke Mann die Fundgrube aus.
    Innerhalb einer Stunde konnte er sich einen Überblick über die Protestbewegung verschaffen. Anführer hatten die Aufrührer nicht, allerdings gab es einen harten Kern, Leute, die immer dabei waren und auch immer mit neuen Protestideen aufwarteten. Aber wer die Senfbude auf den Kopf gestellt hatte, das wusste Lisa auch nicht.
    Der kleine, dicke Mann hatte am folgenden Tag die Runde im harten Kern gemacht. Bei allen stellte er sich als Neuzugang vor und fragte, was er wem an Arbeit abnehmen könne. So lernte er Horst, den Fleischermeister, kennen, der so dünn war, dass der kleine, dicke Mann ihn verdächtigte, heimlicher Vegetarier zu sein, vielleicht gar Veganer. Horst sagte, dass er ein brennender Verfechter des kulinarischen Zentrums sei, und er meinte damit Thüringen. Horst war zu allem bereit, zu wirklich allem, sagte er jedenfalls und schwenkte dabei ein Fleischerbeil. Dann klingelte sein Handy. Horst entschuldigte sich, sprach eine Weile mit dem Anrufer. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, sagte er laut zu sich: »Gute Idee.«
    Horst machte ihn mit Leo bekannt, dem studentischen Computergenie, der gerade dabei war, einen Flashmob zu organisieren. Eine Stunde später lagen auf dem Bahnhofsvorplatz Hunderte junge Frauen und Männer, alle mit verzerrten Gesichtern, und stellten sich tot. Durch ein Megaphon klärte Leo die Passanten auf, böser, nichtoriginaler Born-Senf hätte dieses Thüringer Massensterben ausgelöst. Nur der echte Erfurter könnte die Körper und Seelen der Einheimischen wieder heilen. Er brüllte dreimal: »Guter Senf! Guter Senf! Guter Senf!«, da sprangen alle auf und vollführten einen Freudentanz.
    Der kleine, dicke Mann entdeckte Lisa unter den Freudentänzern und winkte.
    Lisa winkte zurück und den kleinen, dicken Mann zu sich heran. Neben ihr tanzte Herbert, der Kamikaze-Rentner, wie sie ihn vorstellte. Herbert war ein sehniges, schlankes, altes Leder mit leuchtenden Augen. Wandern ist des Müllers Lust, sagte Herbert, und er heiße Müller. Er sei schon über achtzig, fit wie ein Turnschuh. »Und weil diese faulenden, stinkenden Imperialisten ihr Sterben in den Osten verlegt haben und mit ihrem geistigen Pesthauch und der Macht des Geldes alles zerstören, da muss ich einfach trotz meines Alters mit raus auf die Straße.« Schließlich wolle er bei seinen Wanderungen durch den Thüringer Wald weiterhin beim Rasten eine ordentliche Rostbratwurst mit gutem, reinem Senf genießen und nicht mit übersäuertem Senf westlicher Herkunft vergiftet werden.
    Am Nachmittag verspürte der kleine, dicke Mann überfallartig einen solchen Hunger, dass er der Bratwurst nicht ausweichen konnte, der zweiten an diesem Tag, und er dachte gleich an die dritte. Und dann kamen diese Demonstranten, und der kleine, dicke Mann blieb plötzlich zwischen zwei nahezu identischen Fleischbergen stecken. Aha, dachte der kleine, dicke Mann: Karl-Heinz. Leo hatte ihm anvertraut, das er über kurz oder lang auf die personelle Spitze der Protestbewegung stoßen würde, auf die Zwillinge Karl und Heinz. Der kleine dicke Mann steckte zwischen zweimal gutem Thüringer Bauchfett, das zu Schwimmringen ausgeufert war, die den kleinen dicken Mann an Sommertage und Jugend und Baden im Baggersee mit großen, schwarzen LKW-Pneus erinnerten.
    »Da ist er«, sagte Heinz. Mit Betonung auf dem zweiten Wort.
    »Da ist er«, sagte Karl, die Betonung auf dem zweiten Wort verstärkend.
    Der kleine, dicke Mann lächelte erwartungsvoll.
    Karl sagte: »Wir sind die Wildecker Herzbuben.«
    »Die beste Parodie weit und breit. Kein Fasching ohne Karl und Heinz.«
    Die Zwillinge redeten und telefonierten gleichzeitig. Das heißt Karl telefonierte und Heinz redete auf den kleinen, dicken Mann ein. »Tolle Idee, das wird der Knaller!«, sagte Karl. Heinz sang: »Reih dich ein in die Thüringer Bornsenffront.« Und aus der Menge erklang: »Wir wollen unsern guten, alten Bornsenf wiederhahm!«
    Als Karl und Heinz kurz nach links und rechts beiseite traten, stolperte der kleine, dicke Mann in die nun geöffnete Lücke. Als er sich gefangen hatte und aufschaute, sah er weiter hinten im Demonstrationszug einen
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