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Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Titel: Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
Autoren: Sutton Verlag GmbH
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schwieg. Er hätte auch etwas schwören können, nämlich dass Rührnig diesen Wortschwall produziert hatte, um etwas zu verbergen.
    »Was soll ich nun tun?«
    »Undercover ermitteln.«
    Es klang wie »Ander Kaffer«.
    »Die Chaoten infiltrieren«, flüsterte Rührnig.
    »Einsickern in die Senf-RAF?«, flüsterte der kleine, dicke Mann verschwörerisch zurück. Beinahe hätte er mit einem Auge gezwinkert. Und genauso beinahe wäre ihm noch herausgerutscht: »Parole Lebens-Born«, aber er wusste nicht, ob Rührnig diesen politisch inkorrekten Witz vertragen würde, schwieg lieber und behielt die Augen offen. Dann nannte er laut seinen Tagessatz und bestand auf Spesen extra. Man wurde sich rasch einig. Ein Scheck wurde ausgeschrieben. Rührnig forderte, sofort anzufangen. Der kleine, dicke Mann nickte, fuhr zunächst zur Bank, um den Scheck einzuzahlen. Zu Hause löste er ein Sudoku. Eines für Fortgeschrittene. Er musste überlegen, das tat er parallel zum Sudoku.
    In den folgenden Tagen hatte der kleine, dicke Mann Kontakt aufgenommen, war zu einer Demonstration gegangen, hatte sich tunlichst in den hinteren Reihen gehalten, die Ohren aufgespannt, kleine Gespräche geführt, in Biertischrunden gelauscht, war dabei, als in einer Gruppe ein Senf-Anschlag auf den Oberbürgermeister geplant wurde, der sich bisher nicht klar zu »Kost the Ost« bekannt hatte.
    Die Leute waren erregt. Alle wollten, dass die guten Ostprodukte nicht westlichen Glücksrittern in die Hände fielen, und wenn sich schon die Eigentumsverhältnisse zugunsten der ehemaligen Brüder und Schwestern aus dem Westen veränderten, dann sollten wenigstens die Produkte weiterhin lupenreine Ostprodukte sein.
    Einerseits verstand der kleine, dicke Mann diese Wünsche. Wenn man ihm seine Thüringer Bratwurst vom Ernährungsplan streichen und durch Nürnberger oder gar Weißwurst ersetzen würde, da würde er auch auf die Barrikaden gehen. Also bildlich gesprochen. Bei aller Liebe zur Rostbratwurst, er hatte nicht vor, sich dafür auf einer Barrikade erschießen zu lassen. Obwohl: Was für ein Bild! Die Freiheit führt das Volk   – er als Freiheit, mit einer Bratwurst im Brötchen in der einen und einer Born-Senf-Fahne in der anderen Hand, das Kleid weit über die Schultern gerutscht, als Brüste zwei gute, alte Plastemilchbeutel.
    Und dann trat sie vor ihn. Der kleine, dicke Mann glaubte zu träumen: Eine Zweitausgabe der Dame, die Delacroix Modell gestanden hatte für das heroische Freiheitskampfgemälde. Sie kam von links in das Blickfeld des kleinen, dicken Mannes, beugte sich etwas zu ihm herunter, und sagte: »Huhu!«
    Sie wedelte dem kleinen, dicken Mann vor dem Gesicht herum, was ihm einen räucherstäbchenrauchgeschwängerten Geruch in die Nase steigen ließ, den seine Freundin Heidi meist als alternativ und die von dermaßen riechenden Leuten vertretenen Gedanken als »Esothermik« bezeichnete. Die Huhu-Delacroix-Dame pustete dem kleinen, dicken Mann etwas warmen, nicht unsympathischen Atem ins Gesicht und sagte: »Ich bin Elisabeth. Also Lisa!«
    Der kleine, dicke Mann blinzelte. »Mein Name ist so schrecklich, dass ich ihn lieber für mich behalten möchte.«
    Lisa-Elisabeth guckte erstaunt, musterte den kleinen, dicken Mann dann in einer Art, die er als Abscannen bezeichnete, und entschied dann, dass er ihr nicht unsympathisch sei. Lisa entpuppte sich als Fundgrube für den kleinen, dicken Mann. Sie hatte, ganz unpassend zu ihrer etwas ausufernden Weiblichkeit, die Stimme eines minderjährigen Blondchens, und der Mund, aus dem diese Stimme erschallte, stand so gut wie nie still. Zunächst erfuhr der kleine, dicke Mann, dass Vegetarier die natürlichen Verbündeten der Bratwurstesser in diesen Erfurter Senf-Unruhen seien. Senf wäre nämlich ein natürliches Heilmittel. Und gerade mittels Born-Senf hätten die Thüringer Heilerinnen immer die besten Erfolge erzielt. Und sie müsse es schließlich genau wissen, denn sie habe das Wissen darüber von ihrer Großmutter geerbt, die auch schon eine Hexe gewesen sei. Und nur, wenn die Herstellung des Senfes weiter nach der originalen Rezeptur und in altbewährter Weise erfolge, könnten sich auch die Erfolge wieder einstellen. Im Moment würde zuviel schlechtes Karma alles verderben.
    Die Melodie von »My sweet lord« erklang, Lisa wühlte etwas hektisch in den Weiten ihres Kleides, holte ein ganz unesoterisches Gerät hervor, drückte auf den Verbindungsknopf und sagte: »Ja?   – Ja.   – Ja,
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