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Deborahs Totenacker

Deborahs Totenacker

Titel: Deborahs Totenacker
Autoren: Jason Dark
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Als Carlo Brandi sein Lokal von der Küche her betrat, kickte er den Lauf des Revolvers nach vorn und zählte akribisch die Patronen in der Trommel. Es waren sechs, sie würden und sie mußten reichen.
    Er spürte das Würgen im Hals. Er zitterte, jedoch nur innerlich, seine Hände blieben ruhig. Die letzten Gäste waren längst gegangen, die beiden Serviererinnen ebenfalls. Auch den Jungkoch hatte er nach Hause geschickt. Der neue Tag hatte längst begonnen, und draußen hockte die Kälte wie ein großes Tier, das Einlaß begehrte.
    Die sieben runden Tische waren leer. Sophia, seine Frau, hatte die Decken abgezogen und in den Keller geschafft, wo auch die große Waschmaschine stand.
    Sieben Tische reichten dem Ehepaar aus, um von den Gästen leben zu können, denn es gab keinen Tag, an dem das Lokal nicht gut besucht war. Mittags und abends.
    Brandi steckte die Waffe in den Hosenbund. Er spürte ihr Gewicht und ihren Druck. Beides hätte ihn eigentlich beruhigen müssen.
    Komischerweise war das nicht der Fall. Er fürchtete sich sogar davor, jetzt bewaffnet zu sein, aber auf der anderen Seite konnte er sich einfach nicht immer ducken und den anderen das Feld überlassen. Es gab im Leben eines Menschen einen Punkt, an dem es hieß: bis hierher und nicht weiter. Dieser Punkt war bei Carlo Brandi erreicht. Er stand vor dem Regal mit den Grappaflaschen, deren Inhalt zum besten gehörte, was sein Heimatland zu bieten hatte. Grappa vom Feinsten, edle Getränke, entsprechend teuer. Er bedachte sie mit einem Blick, in dem so etwas wie Wehmut und Abschied lagen, und er spürte auch den Druck in seinem Hals. Die Kehle schien ihm zugeschnürt zu werden.
    Scharf atmete er durch die Nase.
    Sie würden in dieser Nacht kommen, und sie würden ihn vor die Wahl stellen. Entweder überschrieb er ihnen sein Lokal und fungierte in Zukunft nur als Geschäftsführer, oder ihn würde der Teufel holen und ihn irgendwo auf dem Grund der Themse begraben.
    Das wußte auch Sophia. Er hatte sie wegschicken wollen, aber sie hatte sich dagegen gewehrt. Gemeinsam hatten sie hier in Soho die neue Existenz aufgebaut, und die wollten sie verteidigen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung waren.
    Sophia wollte nachgeben, er nicht. Er würde sich ihnen in den Weg stellen und sein Werk verteidigen. Natürlich hatte Brandi mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei zu gehen, es aber gelassen. Außerdem hatte die Organisation beste Beziehungen. Ihre Mitglieder lachten über den Einsatz der Polizei.
    Vor dem Fenster neben dem Eingang war er stehengeblieben. Er schob den Vorhang zur Seite, um nach draußen schauen zu können, wo der kleine Vorgarten unter der Dunkelheit begraben lag. Ein schmaler Parkplatz gehörte auch dazu. Er bot Platz für sechs oder sieben Fahrzeuge.
    Auf der Straße bewegte sich nichts. Zu dieser winterlichen Zeit schien selbst das sonst so laute Soho eingeschlafen zu sein, aber Carlo ließ sich nicht täuschen.
    Er starrte hinaus. Seine Augen waren die Anstrengung nicht gewohnt.
    Sie fingen sehr bald an zu brennen. Oder waren es schon die Tränen, die hochstiegen?
    In dieser Nacht entschied sich ihr Schicksal. Sie hatten es ihnen angedroht. Und sie würden die Drohung wahrmachen.
    Er drehte sich um, als er die leisen Schritte hörte. Sophia war gekommen. Carlo schaute sie an. Sie stand in der Nähe der Theke und wirkte wie eine Statue. Das Haar trug sie nicht mehr hochgesteckt, sondern offen.
    Es ›floß‹ in dunklen Wellen auf die Schultern. Es war noch immer so schwarz wie vor zwanzig Jahren, als sie sich kennengelernt hatten, denn ihr Friseur ließ den grauen Strähnen keine Chance.
    Carlo hatte sich damals in ihr Gesicht verliebt. Er hatte es immer mit dem einer Madonna verglichen. Auch heute noch hatten ihre Züge etwas Madonnenhaftes, sie waren weich und fraulich. Der Blick ihrer Augen paßten jedoch nicht mehr dazu. Darin lag die Angst, die Furcht vor der Zukunft, und es fiel ihr schwer, eine Frage zu stellen.
    »Du hast dich entschlossen, Carlo?«
    »Si.«
    Sophia schlug die Augen nieder. »Dann werden wir in dieser Nacht wohl das Ende erleben…«
    Carlo hob die Schultern. »Es kommt darauf an, wie man es sieht. Es kann ein Ende sein, doch es kann auch ein neuer Anfang werden.«
    »Ist der Tod ein Anfang?«
    Der Mann senkte den Kopf. Diese Frage war ihm unter die Haut gegangen. Er war katholisch. Im Sinne dieses Glaubens wäre der Tod ein neuer Anfang gewesen, aber so hatte es Sophia sicherlich nicht gemeint. Sie dachte an
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