Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Titel: Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
Autoren: Sutton Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
»Born to be Senf!«, hatte der Rocker gesagt und die Flasche dem kleinen, dicken Mann in die Hand gedrückt. Verkehrt herum, so dass der Senf auf Hose und Schuhe spritzte.
    »Born to be Senf!?!« Rührnigs Augen waren ganz groß geworden. »Darf ich den Slogan kaufen, den Spruch?« Der kleine, dicke Mann hatte damals nicht abgesahnt, sondern abgewinkt und dem Rührnig eine Visitenkarte überreicht.
    Am Montagmorgen vor vierzehn Tagen zeigte ihm Rührnig dann die aufgebrochene Tür und die teilweise verwüstete Fertigungshalle. Der kleine, dicke Mann sagte, dies sei Sache der Polizei. Rührnig winkte ab und sagte: »Die ruft ein Kollege gerade an. Schnell!« Er eilte voraus, öffnete eine Tür, die in ein Büro führte, trat zur Seite, so dass der kleine, dicke Mann die Inschrift an der Wand lesen konnte. Dort stand: Keine Experimente   – Bornsenf original!
    Der kleine, dicke Mann roch an der Inschrift. Sie war mit Senf geschrieben.
    »Das waren diese Chaoten!«, sagte Rührnig. »Die terrorisieren uns seit Wochen. Erst kamen ein paar einzelne Anrufe. Leute beschwerten sich, der Born-Senf würde, seitdem die Firma neue Eigentümer aus dem Westen hätte, nicht mehr so wie früher schmecken. Dann kamen immer mehr Briefe und Anrufe und Mails.«
    »Demonstrationen«, warf der kleine, dicke Mann ein.
    Rührnig echauffierte sich: »Ich begreife das alles nicht. Mails, Anrufe, Briefe säckeweise, und dann auch noch Demonstrationen   – und alles nur wegen Senf?!«
    »Born-Senf«, sagte der kleine, dicke Mann. Es klang irgendwie, als wäre er Edelsteinliebhaber und hätte »Kohinor« gesagt. »Sie würden sich wundern, was Thüringer noch alles tun würden, wenn es um den Schutz ihrer Heiligtümer geht.«
    Rührnig schüttelte den Kopf: »Vorige Woche war unsere Internet-Seite blockiert. Ihre Thüringer haben uns mit blödsinnigen Mails überschwemmt. Und dann das anonyme Zeugs hier.« Rührnig und zog aus dem Schreibtischschubfach mehrere Blatt Papier heraus.
    »Friss deinen West-Senf allein!«, las der kleine, dicke Mann. »Tod den Senfpanschern!« und »Wer Bornsenf verfälscht oder verfälschten Bornsenf in den Nahrungskreislauf einspeist, wird zu Thüringer Klößen, nicht unter zwanzig Stück am Tag, verurteilt.« Und alles aus Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt. Da hat sich aber einer sehr viel Mühe gegeben, dachte der kleine, dicke Mann.
    »Gelb oder Leben!«, las er laut vom nächsten Blatt vor. »Was bedeutet das?«
    »Diese Chaoten behaupten, der Senf würde nicht nur nicht mehr wie früher schmecken, auch die Farbe wäre anders. Hier: ›Weg mit Giftgelb!‹«
    Auf dem letzten Blatt, das Rührnig an den kleinen, dicken Mann weiterreichte, stand: »Wessi, verpiss dich!«
    »Und?« Der kleine, dicke Mann sah Rührnig direkt ins Gesicht. »Ist was dran an den Vorwürfen?«
    »Nichts!«, dann eine fast unmerkliche Pause, ein Stolperer. »Ich schwöre es bei Bismarck.«
    Auf dem Gesicht des kleinen, dicken Mannes breitete sich Ratlosigkeit aus.
    »Ich war schon immer ein Bewunderer des eisernen Kanzlers«, sagte Rührnig, »und bevor ich hierher nach Erfurt kam, als neuer Born-Geschäftsführer, habe ich mich mit der Geschichte der Firma beschäftigt. Bismarck war ein Fan von Born-Senf. Also jedenfalls hat er in einem Brief aus Versailles an die damaligen Firmeneigner, die Brüder Born, seinen Dank für das Geschmackserlebnis ausrichten lassen. Ich könnte auch beim Papst schwören, dass wir an der Rezeptur nichts verändert haben. Bei Papst Johannes dem Zweiundzwanzigsten, der war von dreizehnhundertsechzehn bis vierunddreißig Papst in Avignon, hat einen seiner Neffen zum ›Großen päpstlichen Senfbewahrer‹ ernannt.«
    »Sind Sie Christ?«
    »Ja, wieso?«
    »Würden Sie auch auf die Bibel schwören?«, fragte der kleine, dicke Mann.
    »Werden Sie nicht komisch!«, raunzte Rührnig. Der kleine, dicke Mann hatte kurzzeitig den Eindruck, als wäre ein Schatten auf Rührnigs Gesicht gefallen. Aber dann hellte sich das Gesicht wieder auf und Rührnig sagte: »In der Bibel steht auch vom Senf geschrieben: Matthäus dreizehn.«
    Der kleine, dicke Mann verkniff sich die Frage: Lothar Matthäus?
    »Bei Luther könnte ich noch schwören«, sagte Rührnig, »der meinte, der Mann sei der Braten und die Frau der Senf dazu. Und, fällt mir gerade noch ein, bei dem Römer Columella wäre noch ein Eid möglich, der hat kurz nach Beginn der Zeitrechnung das erste Senfrezept aufgeschrieben.«
    Der kleine, dicke Mann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher