Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mobile

Mobile

Titel: Mobile
Autoren: Andreas Richter
Vom Netzwerk:
um die Anzahl der Lebens jahre , sondern auch um die Lebens erfahrung . Das im Leben gesammelte Wissen.«
    Michael forderte die Flasche zurück, trank und sagte dann: »Das Alter eines Menschen spiegelt sich im Gesicht wider. Auch Erlebnisse und Erfahrungen hinterlassen dort Spuren. Wenn der Scheißkerl dein restliches Leben von bis zu vierzig Jahren erhält, werden sich diese zusätzlichen vierzig Jahre in seinem Körper und Gesicht wiederfinden, außerdem nimmt sein Wissen erheblich zu. Schnappt er sich hingegen die gesamte Lebenserwartung eines Kleinkindes, hat er davon nur die körperliche Verjüngung. Es ist wie bei der Plus-Minus-Rechnung in der Mathematik. Sein Gesicht hingegen wird deshalb so viel älter, weil sich die Unerfahrenheit eines kleinen Kindes nicht richtig mit den Lebenslinien im Gesicht eines Erwachsenen verrechnen lässt.«
    »Völlig unschlüssig, was du da erzählst.«
    »Finde ich nicht«, murmelte Michael und trank. »Kommen wir nun zur Jackpot-Frage. Stell dir vor, ich halte in meiner linken Hand drei Umschläge. Einen roten, einen blauen, einen gelben. In jedem Umschlag steckt eine Frage. Welchen Umschlag möchtest du?«
    »Was soll das werden?«
    »Welchen Umschlag, Jo?«
    »Meinetwegen. Den blauen.«
    »Den blauen«, wiederholte Michael murmelnd und klemmte die Weinflasche zwischen den Oberschenkeln ein. Seine Hände machten rasche Bewegungen in der Luft, so als öffnete er den fiktiven Umschlag und entfaltete anschließend das entnommenen Blatt Papier. »Dann wollen wir doch mal sehen ... .« Rasch las er sich die nicht vorhandenen Worte stumm durch. »Oh, das ist aber hinterhältig, pfui wie gemein, die Frage setzt sich ja aus zwei Fragen zusammen. Egal, Teil eins der Frage lautet: Wer ist dieser George überhaupt, und weshalb kann er das, was er gerade an dir und deinem Sohn praktiziert? Teil zwei... .« Er legte eine kurze Pause ein und blickte mit ernster Miene in Richtung Zimmertür, bevor er in scharfem Tonfall einwandte: »Bitte, liebe Zuschauer, keine Zwischenrufe!« Dann sah er wieder Joachim an. »Teil zwei: Wie stellen wir diesem verdammten Scheißkerl ein Bein, beziehungsweise wie kommen alle - er natürlich ausgenommen - heil und unversehrt aus der Sache raus?«
    Joachim sagte: »Sieht ganz so aus, als hätte ich den Umschlag mit den schwierigsten Fragen erwischt.«
    »In den anderen Umschlägen stecken die gleichen Fragen.«
    »Was spielt das alles noch für eine Rolle , Michi?« Joachim zuckte mutlos mit den Achseln. »Wir haben keine Zeit, um noch irgendetwas herauszufinden. Zumindest habe ich die Zeit nicht mehr. Los, gib mir die Flasche!«
    Michael reichte sie ihm und stand auf, um die zweite Flasche zu holen. Er sagte: »Da gibt es jemanden, der sich George nennt und der über die außergewöhnliche Fähigkeit verfügt, sein eigenes Leben immer wied er zu verlängern, indem er einen Teil der Lebensjahre anderer Menschen auf sich überträgt, sie seinem Lebenskonto gutgeschrieben werden. Und das macht er vermutlich seit hunderten von Jahren oder noch länger, und niemand schlägt ihm seinen verdammten Kopf vom Hals. Wieso nicht?«
    »Diese Bess ... was glaubst du, welche Rolle sie einnimmt? Ist sie eine Art Assistentin?«
    »Ich vermute, sie ist seine Nachfolgerin.«
    »Seine Nachfolgerin? Echt?«
    »Der Scheißkerl weiß nur zu genau, dass auch für ihn der Zug eines Tages abgefahren sein wird. Irgendwann mag auch er nicht mehr leben, irgendwann reicht es einfach, das Feuer erlischt. Diese Bess ist vermutlich nichts weiter als das, was er selbst einmal gewesen ist: Ein Lehrling. Ein Nachfolger, an den das Wissen oder diese Fähigkeit weitergegeben wird. Am besten schlägt man beiden den Kopf ab, ihm und ihr.«
    Joachim nickte gedankenversunken. Schließlich sagte er: »Ich bin erleichtert, Michi, ob du es glaubst oder nicht. Jetzt, da diese ganze perverse Anspannung vorbei ist und Daniel nichts passiert - und nur darauf kommt es an. Caro wird das alles schon meistern, sie ist eine starke Frau. Wichtig ist, dass es meiner Familie gut geht, auf mich kommt es nicht an. Die Dinge werden auch ohne mich laufen, nachdem sich alles neu gefunden hat.« Es klang tapfer, doch Joachim kämpfte mit den Tränen.
    Michael nah m die Flasche vom Schrein, aber er trank nicht. Er sah Joachim an und sein Gesichtsausdruck war mit einem Mal sehr verändert.
    »Scheiße, Michi, alle Zukunftspläne und so ... - das alles ist mit einem Mal nichts mehr wert. Na, wie gesagt: Hauptsache, Daniel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher