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Titel: Mobile
Autoren: Andreas Richter
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Dann sagte er: »Wollen wir doch mal schauen, was die hübsche Hexe uns gebracht hat«. Er ging zum Schrein, nahm eine Flasche in die Hand und guckte auf das Etikett.
    Joachim ließ sich in den Sessel fallen, in dem er zuvor gesessen hatte. Er legte seine eiskalten Hände aufs Gesicht und seufzte schwer.
    »Frankreich«, las Michael murmelnd vom Etikett ab. »Château Irgendwas, Bordeaux. Sagt mir nix, sieht aber lecker und teuer aus.« Er trank einen Schluck aus der Flasche, schmatzte und nickte anerkennend und sagte vor sich hin: »Nicht übel. Ein wenig schwer, wohl eher ein Tropfen zum Genießen. Also eigentlich nicht unsere aktuelle Veranstaltung. Aber, hey, was soll's!« Er nahm die Flasche und setzte sich in den anderen Sessel, trank einen weiteren Schluck und sagte: »Also, wir haben jetzt noch bummelig achtundfünfzig Minuten. Die sollten wir nutzen.«
    Joachim ließ die Schultern hängen. »Was bleibt uns denn noch? Da gibt es nicht mehr viel zu besprechen. Das Thema ist erledigt, ich sitze in der Falle, Feierabend! Ordern wir noch ein paar Flaschen Rotwein und machen wir Wettsaufen - das ist doch endlich mal ein Vorschlag von mir, der auch deinen Beifall findet, oder?«
    »Siebenundfünfzig Minuten. Reden wir über diesen Scheißkerl, über diesen George. Ich fasse zusammen: Er baut Spielzeug, das er - wie auch immer - in der halben oder auch ganzen Welt vertreibt. Dieses Spielzeug ist allerdings kein gewöhnliches Spielzeug, sondern hat es ganz gewaltig in sich und klaut den Kindern, denen es zumindest vorübergehend gehört, das Leben. Gemeine Nummer. Diese Kinder verschwinden einfach, lösen sich sozusagen in Luft auf und dieser George-Scheißkerl erhält deren restliche Lebenserwartung. Bedeutet: Gott, oder wer auch immer, schickt das Kind X mit der vorgesehenen Lebensdauer von fünfundsiebzig Jahren auf die Welt. Dummerweise fällt Kind X aber im Alter von fünf Jahren eins von George-Scheißkerls Spielzeugen in die Hände. Ein paar Wochen oder Monate später ist Kind X plötzlich weg. Was passiert mit seinen vorgesehenen restlichen siebzig Lebensjahre? Die gehen auf das Lebenskonto unseres speziellen Freundes. Dessen Lebenskonto steigt um diese siebzig Jahre an, was nichts anderes bedeutet, als das er ... na, Jo? Als das er was ?«
    »Um diese siebzig Jahre älter wird «, sagte Joachim monoton.
    »Genau! Dieser George-Scheißkerl wird immer älter und älter, er verlängert sein Leben immer w ieder um Jahre oder Jahrzehnte. Im Grunde kann der Scheißkerl ein ganzes Altenheim in die Krabbelgruppe zurückschicken!«
    »Aber das heißt doch nichts anderes, als dass er schon seit ... keine Ahnung, vielleicht seit einer … Ewigkeit ... da ist ... lebt.«
    »Das muss es nicht bedeuten, aber das kann es bedeuten. Je nachdem, wie lange er die Sache schon betreibt.«
    »Und er kann ...« - Joachim schüttelte fassungslos den Kopf - »noch viele ... hundert Jahre weitermachen, wenn er will.«
    »Wenn man ihn lässt, Jo. Nur wenn man ihn lässt.«
    »Aber wie macht er das? Das mit dem Spielzeug und den Lebensjahren?«
    »Woher soll ich denn das wissen?«
    »Ich begreife das alles nicht. Ich meine, er wird doch nicht mit dieser ... Gabe oder Fähigkeit geboren worden sein - wann auch immer er geboren wurde.«
    Michael trank einen Schluck und sagte dann: »Keine Ahnung. Vielleicht kam er damit auf die Welt. Vielleicht hat er sich dieses Wissen oder diese Gabe ... erworben oder sie wurde ihm übertragen. Ich habe keinen Schimmer und es hilft uns jetzt nicht weiter.«
    Joachim überlegte kurz und fragte dann: »Glaubst du eigentlich, dass er ein Mensch ist? Wie du und ich? Ich meine: Sieh Dir seine Augen an!«
    »Ja, die Augen sind der Wahnsinn. Hast du das Spiel der Pupillen gesehen? Wie bei einer Katze. Ich würde zu gerne wissen, wie er zu diesen Augen gekommen ist. Vielleicht ist das in seinem Club eine Art Auszeichnung oder so, etwas , das man sich verdienen muss. Und: Ja, er ist garantiert ein Mensch, allerdings einer mit der Gabe, dass eigene Leben fast beliebig auszudehnen kann.«
    »Er kann ewig leben?«
    »Können vielleicht schon. Aber wollen ? Du hast es vorhin selbst zu ihm gesagt, indirekt.«
    »Was habe ich ihm gesagt?«
    »Du sagtest, dass du schon immer einen Greis im Körper eines jungen Mannes sehen wolltest. Und genau das ist er, Jo: Ein Greis im Körper eines vergleichsweise jungen Menschen. Dieser George-Scheißkerl ist ein Mensch, und er ist alt. Wir wissen nicht, wie alt, aber er altert
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