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Titel: Mobile
Autoren: Andreas Richter
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den Augen wischte.
    »Es gibt so viele unbeantwortete Fragen, Jo, und uns blieb keine Zeit. Ich habe es getan, weil es das Richtige ist. Betrachte dein Leben und betrachte mein Leben. Du hast eine tolle Familie, eine wunderbare Frau und zwei fabelhafte Jungs, die für dich da sind und für die du da bist. Gemeinsam habt ihr Träume und Hoffnungen, Pläne. All das habe ich nicht. Mein Leben hat nicht die Qualität deines Lebens, Jo, der Tausch war genau richtig. Und außerdem: Ich habe noch mal ordentlich was rausgeholt. Zwanzig Jahre ist ein ziemlich guter Wechselkurs, finde ich.«
    »Aber jetzt, da dir zwanzig Jahre weniger bleiben, weißt du nicht, wie viel Zeit dir noch zur Verfügung steht.«
    »Das wusste ich vorher auch nicht. Kein Mensch weiß, wie viel Lebenszeit ihm nach jedem Atemzug noch bleibt, und das ist Segen und Fluch zugleich. Aber ich sage dir was: Ich werde fortan jede Sekunde nutzen, um Antworten zu finden. Was kann man gegen diesen Scheißkerl unternehmen? Wie kann man ihn daran hindern, sein schmutziges Geschäft weiterhin zu betreiben? Wie kann man ihn stoppen? Das hier ist nicht das Ende, mein lieber Spielkamerad - dies ist erst der Anfang!«
    »Wir w erden diesem George den Stecker ziehen«, flüsterte Joachim.
    » Ja, ihm und seinem ganzen Scheiß-Verein, dem gesamten Katzenaugen-Club.«
    Einige Minuten schwiegen sie, beide versunken in ihren eigenen Gedanken.
    »Michi?«, fragte Joachim schließlich.
    »Hmm?« Es klang schläfrig.
    »Ich muss dich etwas fragen. Etwas wichtiges.«
    »Was denn?«
    »Was mache ich, wenn du ... du weißt schon. Wenn dein Lebenskonto eines Tages gelöscht ist. Falls du ... einfach nicht mehr da bist. Ich kann dann doch nicht so tun, als wüsste ich von nichts.«
    »Du machst gar nichts. Kümmerst dich um nichts. Wir sind Freunde, keine Familie. Sollte ich irgendwann verschwunden sein, bin ich verschwunden und irgendwann wird man mich für tot erklären - so einfach ist das. Du schweigst einfach.«
    In Joachims Magen herrschte ein flaues Gefühl.
    »Mann, was bin ich müde«, murmelte Michael und streckt sich auf der Pritsche aus.
    Der Schreck fuhr durch Joachims Körper. Was, wenn Michael nicht mehr aufwachte? Nie wieder aufwachte?
    Fast schien es, als hätte Michael Joachims Gedanken gelesen. Er sagte: »Sollte ich irgendwann nicht mehr da sein und der Job ist dann noch nicht erledigt, wirst du ohne mich weitermachen. Du wirst diesen Scheißkerl zur Strecke bringen. Ich weiß, dass du das kannst. Deine Sinne haben sich verändert. Du sieht jetzt nicht besser, aber du siehst anders . Du weißt jetzt, dass es ein Haus ohne Fenster und Türen gibt, und du weißt auch, dass man es dennoch betreten kann. Verspricht mir, dass du den Scheißkerl auch ohne mich jagen wirst. Dieses Versprechen habe ich verdient.«
    »Ich verspreche es dir, Michi. Ich verspreche es g anz fest.«
    »Das ist gut«, sagte Michael und gähnte. »Ich werde jetzt pennen, ich bin völlig im Eimer.«
    Joachim nickte vor sich hin. Einige Minuten lang starrte er in die Dunkelheit und lauschte dem monotonen Fahrgeräusch. In seinem Kopf herrschte Leere. Er fühlte sich elend. Schließlich legte auch er sich hin und kauerte sich zusammen. Doch er schlief nicht ein, sondern lag mit offenen Augen auf der Seite und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es die vergangenen Wochen nicht gegeben hätte.
    Es war kalt. Unfassbar kalt. Joachim fror mehr als je zuvor in seinem Leben.
     
    *
     

Die nächsten beiden Flüge von London Stanste d nach Hannover waren ausgebucht. Es gab jedoch noch freie Plätze für den nächsten Flug nach Hamburg. Wenn sie von dort aus mit dem Zug nach Hannover weiterreisten, wären sie immer noch früher dort als mit dem nächsten freien Direktflug. Joachim und Michael buchten den Flug nach Hamburg und checkten ein. Sie reihten sich ein in die Schlange der anderen Fluggäste, zeigten ihre Bordkarten vor und passierten anschließend die Sicherheitskontrollen.
Es blieb noch eine dreiviertel Stunde Zeit bis zum Abflug. Joachim drückte Michael seine Tasche in die Hand und sagte: »Ich geh mal kurz in den Duty-Free-Shop und gucke, ob ich ein kleines Mitbringsel für meine Familie finde.«
    Michael nickte schweigend. Er l ieß sich auf einen freien Sitz nieder.
    »Michi , ist alles in Ordnung?«
    »Alles traumhaft. Sag mal : Carola weiß von alledem noch gar nichts. Meinst du nicht, dass du sie endlich anrufen und ihr Bescheid geben solltest, dass alles überstanden ist und wir
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