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Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)

Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
Autoren: Susan Elizabeth Phillips
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Misstrauen in den dunklen, faszinierend lavendelblauen Augen. »Alt genug, schätz ich.«
    »Wo sind denn deine Eltern?«
    »Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Mein Dad ist vor drei Jahren in der Schlacht von Shiloh gefallen.«
    »Und du, ragazzo ? Was treibt dich nach New York?«
    Der Junge schob sich den letzten Bissen Apfelkuchen in den Mund, stopfte sich das Bündel wieder unter den Arm und sprang auf. »Ich muss weiter, Sir. Vielen Dank für den Kuchen. War echt nett, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er lief los, drehte sich aber nach ein, zwei Schritten noch einmal um. »Und damit Sie’s wissen… Ich bin gar kein Junge. Und ich heiße Kit.«
     
    Während Kit stadteinwärts zum Washington Square strebte  – die Wegbeschreibung hatte sie von einer Dame auf der Fähre bekommen –, rückte sie sich insgeheim den Kopf zurecht. Was musste sie dem Alten auch ihren Namen auf die Nase binden? Als angehende Mörderin durfte sie damit unter gar keinen Umständen hausieren gehen. Na ja, im Grunde genommen war es gar kein Mord. Sondern höhere Gerechtigkeit, auch wenn die Yankee-Gerichte es bestimmt anders sehen würden, sofern man sie jemals aufgriff. Am besten hielt sie künftig die Klappe, dann kam vielleicht nie heraus, dass Katharine Louise Weston von der Plantage Risen Glory aus dem jämmerlich zerstörten Rutherford, South Carolina, jemals einen Fuß in dieses unsägliche New York gesetzt hatte.
    Sie umklammerte das Bündel fester. Darin befanden sich der Armeerevolver ihres Vaters, die Rückfahrkarte nach Charleston, eine Erstausgabe von Emersons Essays , Wechselgarderobe und ein bisschen Geld für den Aufenthalt. Kit hätte die Sache am liebsten so schnell wie möglich hinter sich gebracht und schnurstracks die Heimreise angetreten, allerdings war ihr klar, dass sie diesen miesen Yankee zunächst genauer unter die Lupe nehmen musste. Ihn umzubringen war eine Sache. Nicht geschnappt zu werden eine andere.
    Mit Charleston, der einzigen größeren Stadt, die sie
bislang kannte, war New York nicht annähernd vergleichbar. Als sie durch die geschäftig lauten Straßen lief, gestand sie sich selbst ein, dass es hier einiges Sehenswerte gab. Wunderschöne Kirchen, elegante Hotels, Warenhäuser mit spiegelblanken Marmorböden. Der Krieg, der im Süden gewütet hatte, schien an dieser Stadt spurlos vorübergegangen zu sein. Gleichwohl war sie viel zu verbittert, um ihre Umgebung zu genießen. Wenn es einen Gott gibt, überlegte sie zähneknirschend, dann möge Er bitte schön dafür sorgen, dass William T. Shermans Seele in der Hölle schmort!
    Tief in Gedanken, stieß sie mit einem Angestellten zusammen, der es eilig hatte, nach Hause zu kommen. »He, pass doch auf, Junge!«
    »Passen Sie doch selber auf«, schnaubte sie. »Und außerdem bin ich kein Junge!« Aber der Mann war schon um die nächste Ecke verschwunden.
    Waren denn alle blind? Seit sie Charleston verlassen hatte, hielten die Leute sie für einen Jungen. Sie fand das zwar dämlich, aber es hatte auch seine Vorteile. Ein allein reisender Junge erregte nämlich viel weniger Aufsehen als ein Mädchen. Zu Hause passierten ihr solche Verwechslungen allerdings nie. Dort kannte man Kit von Geburt an und wusste inzwischen, dass sie mädchenhaftes Gehabe nicht ausstehen konnte.
    Aber alles änderte sich rasend schnell. South Carolina. Rutherford. Risen Glory. Ja, sogar sie selbst. Der alte Mann hatte sie für ein Kind gehalten, wenn der wüsste! Sie war achtzehn, mithin eine junge Frau. Ihr Körper selbst erinnerte sie dummerweise ständig daran, was sie mental nicht wahrhaben wollte. Sie empfand ihr Alter und ihr Geschlecht eher als lästiges Übel, und genau wie ein Pferd vor einem zu hohen Hindernis scheute Kit vor der Akzeptanz ihrer eigenen Person.
    Sie erspähte einen Polizisten und klemmte sich vorsichtshalber hinter eine Gruppe von Arbeitern. Kuchen hin oder her, sie war immer noch hungrig. Und müde. Sie sehnte sich nach Risen Glory zurück. Dort könnte sie jetzt auf den Obstbäumen herumklettern oder fischen gehen oder mit Sophronia in der Küche plaudern. Sie schob die Finger in die Hosentasche und umschloss ein Stück Papier. Gottlob war es noch da, obschon die darauf notierte Adresse auch in ihrem Gedächtnis eingebrannt war.
    Bevor sie sich einen Schlafplatz suchte, wollte sie dort unbedingt noch vorbeigehen. Vielleicht erhaschte sie einen Blick auf den Mann, der all das in Gefahr brachte, was sie liebte. Und dann würde sie das tun, was kein
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