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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt
Autoren: Ursula Priess
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leider gehen!
    Vielleicht können wir uns ein anderes Mal weiterunterhalten, sagt er, greift in sein Jackett und reicht mir seine Karte, vielleicht kommen Sie ja mal rüber nach Üsküdar.
    Ja, wer weiß; Üsküdar ist wirklich schön, besonders die kleine Moschee unten am Wasser, die liebe ich, und von dort den Blick hinüber nach Stambul, wenn die Sonne untergeht – fantastisch!
    Er lächelt.
    Ich lächle zurück, greife unter der Bank nach der leeren Cola-Dose, stehe auf und nicke ihm zu. Dann endlich gehe ich. Und werfe im Foyer vor der Sicherheitsschranke – erleichtert, beschämt, verwirrt – seine Karte mit der Dose zusammen in den Abfalleimer, ungelesen; und stürze mich zurück ins Buchmesse-Getümmel.

BROT UND WASSER
    Jetzt ist es wieder so weit: Vor den Brunnen stehen sie wieder Schlange!
    Jedes Jahr im Sommer die Wasserknappheit! Obwohl Wasser nicht eigentlich knapp ist in diesem Land. Aber die Städte wachsen so rasant, Istanbul vor allem, dass sie nicht hinterherkommen mit den Wasserleitungen und mit der Erschließung weiterer Quellen und Seen und dem Bau neuer Wasserreservoirs.
    Aber noch fließt Wasser an den Brunnen. Nur für die höher gelegenen Häuser reicht der Wasserdruck nicht mehr, und schon gar nicht bis in die oberen Etagen. Wasserpumpen, höre ich, gibt es keineswegs in allen Häusern, und Wassertanks haben nur die, die es sich leisten können. Die vielen anderen, die von der Hand in den Mund leben, holen das Wasser an den Brunnen; meistens gegen Abend gehen sie hin und stehen geduldig mit ihren Plastikkanistern, bis sie an der Reihe sind.
    Gestern in gleißender Mittagssonne an einem Brunnen einer, der sein Auto wusch. Schaumiges Wasser, das einfach so die Straße hinabrinnt und rinnt und rinnt und unten an der Kreuzung zur Pfütze wird – als ob es das Selbstverständlichste wäre, Wasser im Überfluss in dieser Sommerzeit! Ich schaute mich um, ob niemand sonst sich wunderte über den üppigen Wasserverbrauch. Nein, niemand drehte sich nach dem Autowäscher um, der in aller Ruhe weiter sein Auto wusch und wusch und wusch.
    Wenn schon mal Wasser fließt, sollst du nicht damit sparen, sondern es nehmen und brauchen und genießen! In Hakkâri war es, im äußersten Osten des Landes, bei Freunden von Freunden zu Besuch, als abends endlich wieder Wasser floss und ich als Gast die Erste war, die in den Genuss des Duschens kam. Natürlich beeilte ich mich, alle anderen wollten ja auch noch duschen, solange das Wasser noch floss.
    Warum nur so kurz! Ich wurde zurück ins Bad geschickt: Lass dir Zeit, und nimm Wasser, so viel du magst! Wer weiß, wann du wieder Gelegenheit dazu hast!
    Geduldig stehen sie vor den Brunnen und warten, bis sie dran sind, ihre Kanister zu füllen – mit Wasser, das noch nicht einmal mehr trinkbar sein soll, so stark gechlort wie es ist. Viele, obwohl davor gewarnt wird, trinken es doch.
    Ja, Trinkwasser in Flaschen ist auch eine Frage des Geldes.
    Ebenso ist es mit dem Brot: Seit der Brotpreis wieder gestiegen ist, stehen sie auch vor den halk ekmek- Buden wieder an fürs Brot.
    Immer vor Wahlen, hörte ich, werden die Preise fürs Lebensnotwendige eingefroren, Zucker, Salz, Öl, Benzin, Zigaretten und eben das Brot, und schnellen danach umso rasanter nach oben. Warum es so ist – ich versteh es nicht.
    So ist es, wird mir gesagt, alle machen es so, egal wer an der Macht ist oder die Macht übernimmt.
    Und so stehen sie nun fürs Volksbrot wieder an und warten, bis das frische Brot geliefert wird, das, staatlich subventioniert, um ein paar Lira billiger ist.
    Dieses Hinnehmen der Widrigkeiten, diese Ergebenheit, und ohne dass sie ihre Würde dabei verlieren und ihren Stolz!
    Langsam, sehr langsam fange ich an zu begreifen, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als es ebenfalls einfach hinzunehmen, dass es so ist, wie es ist.

WÄSCHE
    In einem der Teegärten hinter dem Taksim Platz sitze ich unter hohen Bäumen und trinke Tee. Schwül ist es heute, kaum auszuhalten, aber von Westen her türmen sich Wolken auf, schieben sich in- und übereinander in den mit milchweißen Schlieren überzogenen Nachmittagshimmel.
    Wind fährt böig in Baumkronen, wirbelt Staub auf und lässt Zeitungen fliegen. Kellner laufen zwischen den Tischen, sammeln Decken ein und kassieren bei denen, die noch sitzen und Tee trinken.
    Jetzt ein heftiger Windstoß, heiß und staubig, dann ein Blitz, und fast zeitgleich krachen Donnerschläge. Erste Regentropfen platschen auf die Tische. Im Nu
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