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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd
Autoren: Unbekannt
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Jörg Isringhaus
     
    UNTER MÖRDERN
    Roman
     
    Prolog
     
    Wie Öl sickert
die Dunkelheit in seine Poren, füllt jede Zelle seines Körpers aus. Geräusche
dringen nur gedämpft herein und heraus. Genau so soll es sein, ein Refugium
fernab der Außenwelt. Eine Insel der Stille, ein Ort der Andacht. Krauss hört
nur den eigenen Atem, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Er hat den Raum
eingerichtet, ihn sorgfältig isoliert, ihn vor neugierigen Blicken geschützt.
Für ihn ist es kein normales Zimmer, sondern das Tor zu einer anderen Welt. Zu
einer anderen Zeit, einem anderen Leben.
    Krauss lässt die
Dunkelheit einige Minuten auf sich wirken. Er kennt jeden Quadratzentimeter
dieses Raums, hätte kein Licht gebraucht. Trotzdem nimmt er ein Streichholz aus
der Schachtel, reißt es an und entzündet die beiden Kerzen auf der kleinen Kommode.
Sie brennen ruhig. Krauss kniet sich hin. Er schließt die Augen, versucht sich
zu konzentrieren. Es fällt ihm zunehmend schwerer. Zu viele Tote, zu viel Leid,
zu große Schuld. Keine Erlösung. Er hofft auf Hanna, hofft, dass sie ihn
diesmal befreien wird vom Elend seiner Existenz. Viermal schon hat sie ihn enttäuscht,
und das hat viele Menschen das Leben gekostet. Einige, die es verdient, und
einige, die es nicht verdient hatten. Krauss macht da kaum noch Unterschiede,
weil die Grenzen ohnehin verschwimmen. Er führt einen Krieg, und der kennt
keine Moral. Nur Sieger und Verlierer. Krauss steht auf beiden Seiten. Hanna
soll für ihn entscheiden.
    Er öffnet die Augen, sieht ihr direkt ins Gesicht. Sie lacht, hat den Kopf
leicht auf die Seite gelegt. Ein paar Strähnen kräuseln sich dekorativ über
ihre Wange. Dabei hat sie kaum auf ihr Äußeres geachtet, verabscheute
Eitelkeit. Krauss mag dieses Foto am liebsten, weil es wirkt, als würde Hanna
mit ihm reden. »Komm, hör jetzt auf, es reicht«, hat sie damals gesagt, weil er
sie gar nicht oft genug fotografieren konnte. Spielerisch hatten sie um die Kamera
gerangelt, bis er nachgab und sie ihn knipste, sich dabei kaputtlachte über seine
albernen Posen. Die Bilder von sich hat er verbrannt, nur die von ihr behalten.
Sie sind sein Schatz, seine Reliquien, und dieser Raum ist seine Kapelle.
Krauss weiß, dass andere seine geistige Gesundheit anzweifeln würden, wüssten
sie, was sich hier abspielt. Es kümmert ihn einen Dreck. Alles, was jemals
zählte, war Hanna. Ohne sie ist er nichts, ohne sie ist alles nichts.
    Er beugt sich vor, zieht die oberste Schublade der Kommode auf. Die Waffe
liegt genauso dort, wie er sie zurückgelassen hat. Krauss nimmt den Revolver
heraus, betrachtet ihn im Schein der Kerzen. Der 38er ist gedrungen, fast
harmlos. Aber er tötet wie jedes andere Mordwerkzeug. Krauss hat es gesehen. Es
war ihre Waffe gewesen, sie schätzte das Format, das in eine kleine Tasche passte.
Krauss klappt die Trommel auf und hält den Revolver senkrecht. Eine Patrone
fällt in seine aufgehaltene Hand. Krauss schließt die Finger um die Kugel,
fühlt ihre makellose Oberfläche, ihre tödliche Perfektion. Dieses Stück Blei
kennt keine Skrupel, keine ethischen Grundsätze, kein Gewissen. Genauso wie
er, bevor er Hanna traf.
    Krauss steckt die Patrone in eine Kammer. Er klappt die Trommel zu,
streicht mit der Hand darüber. Die Trommel rotiert, das Geräusch erinnert ihn
an ein Glücksrad. Er fühlt sich wie ein Verlierer, einer, dem man seinen
Gewinn in einer dunklen Gasse hinter dem Rummel abgenommen und ihn dann
zurückgelassen hat, verprügelt wie einen Hund. Glück kennt er nur vom
Hörensagen, es erscheint ihm wie etwas, das man in Kinderbüchern findet. Krauss
setzt die Waffe an die Schläfe. Er blickt Hanna in die Augen, sieht das
Lächeln darin, die Wärme, das uneingelöste Versprechen auf eine gemeinsame
Zukunft. Krauss glaubt zwar nicht daran, aber er hofft trotzdem auf ein
Wiedersehen. Dann würde er wissen, dass er einmal, nur einmal alles richtig
gemacht hatte. Er spannt den Hahn. Er denkt daran, was sie durchgemacht hat,
versucht, durch ihre Augen zu sehen, ihren Schmerz zu durchleben. Seine Tränen
hat er längst vergossen. Er spürt seinen Körper nicht mehr. Nur endlose
Traurigkeit. Sein schwarzes Herz. Er drückt ab.
    Der Hahn klickt. Krauss rührt sich nicht. Hanna schaut ihn noch immer an.
Ernster jetzt, wie ihm scheint. An ihrem fünften Todestag hat sie ihm ein
weiteres Jahr geschenkt.
     
    1.
    Bredtstedt
    7. August
Sönke-Nissen-Koog, Nachmittag
    »Auf den Frieden! Skäl!« Hermann Görings
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