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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd
Autoren: Unbekannt
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Zigarrenhand des Deutschen schloss mit einer raumgreifenden
Bewegung alle Anwesenden ein, »die mit am Tisch säßen, würden wir auch zu
einem für beide Seiten erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen gelangen. So
aber liegt das Gelingen auch an Ihren Regierungsvertretern, das dürfen Sie
nicht vergessen, meine Herren. Deshalb müssen Sie mindestens genauso gute
Vorarbeit leisten wie ich, wenn nicht mehr.«
    Göring blickte zu Dahlerus. »Ganz abgesehen davon, dass wir die
außerordentliche Gastlichkeit dieses Hauses natürlich nicht genießen könnten.
Sie wissen, wie sehr das politische Verhandlungsgeschick vom kulinarischen
Angebot abhängt.« Er lächelte breit, bevor er die Pointe ausspielte. »Vor
allem, wenn ich mit am Tisch sitze.«
    Der Feldmarschall lachte selbst am lautesten über seinen kleinen Witz.
Dass Göring gutes Essen liebte, war kein Geheimnis. Sein Körperumfang sprach
für sich. »Göring ist der dickste Nazi, den ich kenne«, hatte Elisabeth einmal
kopfschüttelnd zu ihrem Mann gesagt, »er sieht aus wie eine Presswurst in
Uniform.« Dahlerus hatte sie etwas entrüstet angesehen, aber ihre Polemik traf
ins Schwarze. Mit Kleidern von der Stange kam der Deutsche auf jeden Fall nicht
zurecht: Er ließ sich seine Uniformen und Anzüge auf den voluminösen Leib
schneidern. Und alle paar Monate neu anpassen. Die schwedischen Köstlichkeiten,
die Dahlerus für das Treffen extra aus Stockholm hatte einfliegen lassen, hatte
der Deutsche in rasantem Tempo verputzt: frischen Sill, zarten Graved Lax,
Janssons frestelse, Lingonsyl. Bodenschatz musste ihm sogar ein paar seiner
fettigen Köttbullar überlassen. Der General war es gewohnt, seinen Teller mit
dem Chef zu teilen. Görings Hunger war nur schwer zu stillen. Der Schwede
ahnte, dass sich diese hervorstechende Eigenart des zweitmächtigsten Mannes im
Deutschen Reich nicht nur auf das Essen beschränkte.
    Dahlerus selbst
hatte den ganzen Tag über kaum einen Bissen heruntergebracht. Zu schwer lastete
die Tragweite des bevorstehenden Treffens auf seinem Gemüt. Am frühen Morgen
hatte es gerade für einen Kaffee im Kreise seiner Freunde gereicht. Danach war
er mit seinem Wagen zum Bahnhof nach Bredtstedt aufgebrochen, um Feldmarschall
Hermann Göring zu der inoffiziellen Konferenz im Sönke-Nissen-Koog zu geleiten.
Es schien Dahlerus, als habe er in den vergangenen fünf Jahren nur auf diesen
Tag hingearbeitet, als hätten seine Beziehung zu Göring, die Zugeständnisse an
dessen menschliche Schwächen und politische Monstrositäten nur den Zweck
gehabt, furchtbares Unheil abzuwenden. Der Unternehmer glaubte weder an
Vorsehung noch an Schicksal. Seiner Meinung nach scheuten die meisten Menschen,
die sich auf höhere Mächte beriefen, davor zurück, die Dinge selbst in die Hand
zu nehmen. Dahlerus vertraute auf die Macht des Einzelnen, darauf, dass die
kleinsten Puzzleteilchen irgendwann etwas Großes, vielleicht sogar mehr als
die Summe ihrer Teile ergaben, wenn man nur die notwendige Geduld aufbrachte.
Für ihn hieß das: ein friedliches, vereintes Europa, das sich gegenseitig
unterstützte statt bekämpfte. Das war sein Traum, der ihm nicht mehr aus dem
Kopf gehen wollte, der ihn verfolgte, seit er dem letzten Krieg entronnen war.
Der Frieden erschien ihm als das höchste Gut der Menschen, und er sah ihn nie
als etwas Selbstverständliches an. Stattdessen hatte er permanent das Gefühl,
auf brüchigem Eis zu wandeln. Was ihn nur weiter anspornte - bis er selbst in
seinem Eifer, den Frieden zu erhalten, manische Züge zu entdecken meinte. Aber
er konnte nicht anders. Elisabeth nannte ihn einen unbelehrbaren
Weltverbesserer, doch er war in Wirklichkeit mehr als das. Ein Getriebener,
ein Gepeinigter, verfolgt von geifernden Schimären des Untergangs.
    All das forderte auch körperlich seinen Tribut: Nur ein spärlicher, grau
durchwirkter Haarkranz war Dahlerus geblieben, der Bauch neigte zu einer
deutlichen Wölbung, die er für einen Mann von 48 Jahren als angemessen empfand,
unter den Augen saßen schwarze Ringe. Die Aussicht, heute seinem Ziel
vielleicht ein großes Stück näherzukommen, erfrischte ihn jedoch. Für das
prächtige Wetter an diesem Augustmorgen hatte der Schwede allerdings kaum einen
Blick übrig. Genauso wenig wie für die Auswahl seiner Kleidung. Elisabeth
hatte ihm einen dreiteiligen grauen Anzug herausgehängt, in dem er aussah wie
der Vorstandsvorsitzende einer Bank. Die hohe Stirn verlieh ihm etwas Distinguiertes,
Ernstes; die
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