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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt
Autoren: Ursula Priess
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besten, du gingest gleich über Bord, dachtest du; und beim Schritt an Land, um nicht daneben zu treten, warst du gezwungen, um eine helfende Hand zu bitten. Und als du hinüber zu den Taxis gingst, das unerträgliche Geschrei der grellbunten Blumenfrauen hinter dir her: Madame, Madame, Blumen, ganz frisch! Ihre kreischenden Stimmen und ihr freches Lachen dazu – sie lachen und schreien, wie es ihnen passt, und leben ihr Leben, ohne zu fragen, was sie hier sollen! Sie haben keine Wahl, als bei Sonne Wind Regen Schnee ihre verderbliche Ware möglichst rasch und möglichst einträglich loszuwerden. Trotzdem dein Blick zurück vom Taxi aus: Wenn du tauschen könntest mit ihnen, wolltest du geschenkt ihr Leben dort hinter den Kübeln voller Blumen, jahrein, jahraus?
    Doktor Öztürk nahm sich Zeit, fragte, horchte, tastete und veranlasste diverse Kontrollen; er nahm mich ernst mit meiner Angst. Und als die Laborwerte vorlagen und er mich noch einmal zu sich hereinbat, nahm er mich immer noch ernst. Psychosomatisch, das kommt vor, sagte er und lächelte unverändert sein gutes Lächeln. Nur gut, dass Sie gekommen sind, und wenn wieder etwas ist, kommen Sie ruhig wieder, ich bin immer für Sie da!
    Vielleicht war es das.
    Ich gehe zurück durch Üsküdar, die Straßen hinab ans Wasser – es ist wirklich zum Lachen: Wieder ist dir zum Hüpfen leicht! – und schräg über den Platz auf die Schiffanlegestelle zu, und höre wieder das Rufen der Frauen: Madame, Madame! Frische Blumen, ganz frisch! Von weitem schon haben sie mich als potentielle Kundin erkannt.
    Mit Merhaba hanımlar! stelle ich mich vor sie und ihre Kübel voller Blumen und zeige auf die Feuerlilien: Die möchte ich, ich nehme sie alle! Den ganzen Kübel kaufe ich leer.
    Na, die hat’s aber!, höre ich eine der Frauen zu den anderen sagen, als ich mit dem Blumenbündel im Arm zum Schiff hinübergehe.
    Ja, ich hab’s wirklich!, drehe ich mich noch einmal zu ihnen zurück, unglaubliches Glück, heute nämlich ist mir mein Leben neu geschenkt worden!
    Die Frauen werfen sich Blicke zu und lachen prustend los. Ich lache zurück und springe aufs Boot, den Arm voller Blumen – ob sie neues Leben als neue Liebe verstanden haben, wie es, glaube ich, auf Türkisch auch verstanden werden kann? Oder, könnte sein, mein Türkisch hat es dazu gemacht, was ja auch nicht weiter schlimm ist; das Leben, die Liebe, das Glück, und dass mir noch einmal eine Chance geschenkt ist –
    Morgen kommt Hatice: Alles ist wieder gut!, werde ich ihr sagen, falls sie danach fragt und es nicht längst vergessen hat. Aber die zunderroten Lilien werden noch eine Weile stehen und blühen und mich erinnern an das irre Glück.

ROSEN UND JASMIN (FÜR NÂZIM HIKMET)
    Es ist zum Verrücktwerden, dieser Rosen- und Jasminduft!
    Dass die Rosen so blühen, als wäre nichts sonst auf der Welt – Büsche voller Blüten, rankend übers Geländer, großblumige, üppig duftende Sorten, Blüte an Blüte, und keine, die sich knospig noch zurückhält; alle haben sich ganz und gar geöffnet und verströmen ihren Duft in der warmen, weichen Sommerluft.
    Noch verrückter ist, dass über so Betörendes zu schreiben fast nicht möglich ist.
    Nur er, er konnte es, wie kaum jemand sonst konnte er, im selben Gedicht, trotz Meldungen von Krieg und Tod , von Liebe und Landschaften schreiben.
    Auch die Akazien und Linden blühen und duften betörend in dieser Juniwärme, aber der Duft von Rosen und Jasmin ist überwältigend; und verführt zum Träumen.
    Er träumte den Traum von einer Welt, wie sie sein könnte, schöner, besser, gerechter. Und gab die Hoffnung nicht auf, lebenslang; auch als er hinter Gefängnismauern saß, glaubte er daran, an die Liebe, an das Leben, an den Menschen. Obwohl er Jahre dort saß, einzig, weil er in seinen Gedichten davon schrieb.
    In alten Zeiten wurde, wer nicht mehr gefiel, Frauen hoher Herren der Hohen Pforte, wie eine Katze in einen Sack gestopft, mit Steinen beschwert und im Marmara Meer versenkt; mag sein, dass auch Männer so verschwanden auf Nimmerwiedersehen.
    Und heute, wie wird mit unliebsam Gewordenen verfahren? Ich weiß es nicht.
    Sie aber, die hinter hohen Mauern sitzen und warten und träumen von draußen und hoffen, dass sie sie jemals wiedersehen, ihre Lieben, ihre Stadt, das Meer und die Berge, sie wissen es.
    Und er, der Gedichte schrieb, wie die Welt schönere kaum kennt, Gedichte der Liebe und des Glaubens an Zukunft trotz Hunger und Not, Gedichte vom Duft
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