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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
Autoren: Sharon Draper
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würde – selbst wenn ihn jemand wirklich gründlich trockenrieb, sobald ich zur Schule kam.
    Mom legte den Rollstuhl zusammen mit meiner alten Kommunikationstafel hinten in den SUV. Sie schloss den Kofferraum mit einem heftigen Knall. Es regnete immer noch. Als sie auf den Fahrersitz glitt, war sie eine tropfende Katastrophe und hatte eine schreckliche Laune.
    »Am liebsten würde ich wieder ins Bett gehen«, sagte sie missmutig und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. »Mein Kopf bringt mich um – warum habe ich nur eingewilligt, arbeiten zu gehen? Heute hätte mein freier Tag sein sollen – zusammen mit dir in Washington.« Sie seufzte tief.
    Zur Antwort kickte ich mit meinen Beinen, aber nur ein bisschen. Ich wollte sie nicht noch mehr verärgern. In diesem Moment fiel mein Blick nach unten und ich bemerkte, dass sie meine Büchertasche vergessen hatte.
Catherines Karte!
Ich langte zu Mom rüber, griff nach ihrem Arm und deutete zu meinen Füßen.
    »Was?«, sagte sie in gereiztem Tonfall.
    Ich strampelte, ich deutete, ich grunzte. Dann zeigte ich aufs Haus. Dad stand in warmen, grauen Jogginghosen in der Haustür und hielt grinsend meine Jeans-Büchertasche in der rechten Hand. Hinter ihm entdeckte ich Penny, die immer noch ihren kleinen, gelben Enten-Schlafanzug anhatte, aber jetzt einen gelben Regenhut trug. Sie hielt Karli und Moms roten Regenschirm in ihren Händen. Es blitzte. Donner folgte. Der Regen goss in Strömen. Ich sah, wie Moms Hände sich um das Lenkrad klammerten.
    Sie gab einen Laut von sich, der von mir hätte sein können, es klang beinah wie ein Knurren.
»Arrrrrrh!«
Sie stieß die Autotür auf, stapfte wieder hinaus in den Sturm, die Rampe hoch, und riss Dad die Büchertasche aus der Hand. Sie war triefend nass, als sie zurück zum Auto kam. Dad winkte ein letztes Mal mit seiner verbundenen Hand von der Veranda, dann drehte er sich um und ging zurück ins trockene Haus. Ich sah zu, wie sich die Haustür
fast
schloss.
    Und dann sah ich, wie ein kleines, gelbes Bündel, das einen roten Regenschirm mit sich schleifte, aus dem Haus stürmte. Ich sah sie nur eine Sekunde. Aber ich sah sie.
    Ich schrie! Ich strampelte! Ich ruderte mit den Armen! Die Fenster waren fast völlig beschlagen, und es wurde nur noch schlimmer, während ich mich aufführte, als wäre ich von Dämonen besessen. Mom sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Sie schrie mich an: »Hör auf! Bist du verrückt?«
    Aber ich hörte nicht auf. Ich konnte nicht. Ich schlug gegen das Autofenster, zerrte an Moms Bluse, haute ihr auf den Kopf. Ich kniff sie oder versuchte es zumindest.
    »Ich kann nicht mehr, Melody!«, schrie Mom durch den Donner hindurch. »Ich hasse es, wenn du dich so benimmst. Du musst lernen, dich zu kontrollieren. HÖR JETZT AUF!« Sie griff nach dem Schlüssel, um das Auto anzulassen.
    Ich schrie, langte hinüber und versuchte, ihr die Schlüssel wegzunehmen. Ich kratzte Mom über den Handrücken.
    Sie schlug mich aufs Bein. Noch nie zuvor hatte sie die Hand gegen mich erhoben. Nie. Ich hörte trotzdem nicht auf zu schreien und zu strampeln und zu ruckeln. Ich musste es ihr verständlich machen.
Ich musste ihr verständlich machen, dass Penny da draußen war!
Noch nie hatte ich mir Worte mehr gewünscht als jetzt.
    Ich flippte total aus.
    »Ich bringe dich jetzt zur Schule und ich hoffe, da behalten sie dich!«, presste Mom zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Wütend ließ sie das Auto an. Ein Luftstrom fing an, die Fenster frei zu blasen. Die Scheibenwischer wischten auf der höchsten Stufe hin und her.
    Ich weinte. Riesige, schluchzende Tränen. Ich griff noch einmal nach Moms Arm, aber sie schüttelte mich nur ab. Es war ihr anzusehen, dass sie mich am liebsten noch mal gehauen hätte, aber sie tat es nicht. Ihre Lippen waren zusammengepresst. Sie sah in den Rückspiegel. Sie legte den Rückwärtsgang ein.
    Ich kreischte, ich schrie, ich brüllte. Der Regen strömte. Der Donner grollte.
    Langsam rollte das große Auto rückwärts. Ich spürte den dumpfen Aufprall. Ich wurde totenstill.
    Mom hielt an, drehte ihren Kopf langsam nach links. Dann drehte sie ihn langsam nach rechts, fast als wäre sie in Zeitlupe. In diesem Moment kam Dad mit alarmiertem Blick aus dem Haus gerannt. »Penny!«, hörte ich ihn brüllen. »Wo ist Penny?«
    Mom ließ das Fenster auf meiner Seite herunter. Regen prasselte auf mich nieder, aber es war mir egal. »Was soll das heißen? Sie ist bei dir!«
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