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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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Dann unterhalten wir uns.«
    Nach fünfundzwanzig Minuten, nachdem Kabanow die ihm durchgegebene Nummer gewählt hatte, läutete das Telefon in der riesigen Gemeinschaftswohnung, in der Stepan Ignatjewitsch Golubowitsch wohnte, der frühere Lehrer und Mentor von Oberst Gordejew. Er hatte ihm seine riesige Erfahrung und sein meisterhaftes Können mit auf den Weg gegeben. Er hatte fast fünfzig Jahre bei der Kripo gearbeitet und war mittlerweile seit zehn Jahren in Pension. Aber in Wirklichkeit gingen Leute wie Golubowitsch nie in Pension. Sie konnten es einfach nicht. Sie wurden als Ermittler geboren und starben als Ermittler, auch wenn sie schon lange nicht mehr im Dienst waren.
    5
    Gegen Feierabend erreichte Nastja ein Anruf von Gordejew.
    »Geh noch nicht nach Hause«, befahl er, »ich bin in einer halben Stunde bei dir.«
    Das änderte nichts an Nastjas Plänen, sie mußte ohnehin noch mindestens zwei Stunden im Büro bleiben. Es hatte sich eine Menge Arbeit angesammelt, Schreibkram, Statistiken, sie war so vertieft, daß sie überrascht den Kopf hob, als ihr Chef in der Tür erschien. Ihr war, als hätte er erst vor ein paar Minuten bei ihr angerufen.
    »Ist wirklich eine halbe Stunde vergangen?« fragte sie erstaunt.
    »Sogar eine Dreiviertelstunde. Ich habe mich, wie immer, verspätet. Sag mir, Nastjenka, kann man Pünktlichkeit lernen? Ich kenne dich schon so viele Jahre, und du hast dich in dieser Zeit kein einziges Mal verspätet. Wie machst du das?«
    »Ich mache mich rechtzeitig auf den Weg«, sagte Nastja achselzuckend.
    »Auch ich mache mich rechtzeitig auf den Weg. Denkst du, daß ich fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit das Haus verlasse? Und trotzdem komme ich immer zu spät. Warum ist das so?«
    »Wahrscheinlich können Sie die Zeit nicht richtig berechnen. Dazu braucht man Voraussicht. Man muß damit rechnen, daß man vielleicht eine halbe Stunde auf den Bus warten muß, daß die Metro im Tunnel steckenbleibt, daß die Oberleitung des Trolleybusses abreißt, daß man sich vor Schaufenstern und Verkaufsständen vertrödelt. Wissen Sie, wie mein Ljoscha die Zeit berechnet, wenn er zu mir kommt? Vierzig Minuten mit dem Vorortzug, acht Stationen mit der Metro, das sind noch einmal zwanzig Minuten, danach vier Stationen mit dem Bus, weitere zehn Minuten. Ergibt eine Stunde und zehn Minuten. Sie sollten sehen, wie überrascht er jedes Mal ist, wenn er erst nach zweieinhalb Stunden bei mir ankommt. Er denkt nicht daran, daß der Vorortzug nicht alle drei Minuten fährt, daß er ihn erst zu Fuß erreichen muß, daß der Weg zur Metro erneut Zeit in Anspruch nimmt, daß er anschließend auf den Bus warten muß und so weiter. Viktor Alexejewitsch, ich könnte Ihnen noch lange, unterhaltsame Vorträge über alles mögliche halten, wenn Sie zu mir gekommen sind, um entspannt mit mir zu plaudern. Aber gehe ich recht in der Annahme, daß Sie mich nicht deshalb gebeten haben, auf Sie zu warten?«
    »Du hast völlig recht, Kindchen. Ich habe schlechte Nachrichten. Jemand aus Regierungskreisen will einen Mann und eine Frau beseitigen. Die beiden halten sich in einer Einzimmerwohnung auf, in dem Haus, in dem sich das Geschäft ›Gaben des Meeres‹ befindet. Ahnst du, wonach das riecht?«
    »Es riecht nach Scheiße«, sagte Nastja zornig.
    »Aber Kindchen, du bist doch eine wohlerzogene junge Frau«, sagte Knüppelchen vorwurfsvoll, »achte auf die Wahl deiner Worte.«
    »Nein, ich denke nicht daran«, fauchte sie. »Das Haus, in dem sich Platonow und die Lewtschenko befinden, wird bewacht. Man wird die Frau jetzt keine Sekunde aus den Augen lassen, zumal sie für ihre Arbeit ganz offensichtlich das Wochenende bevorzugt. Und die Bande in Uralsk im Verbund mit unserem Freund Russanow fürchtet sich offenbar vor ihnen, sie wissen zuviel. Sie wollen ihnen einen Killer auf den Hals hetzen oder irgendein anderes Feuerwerk veranstalten. Was ist bloß in Dmitrij gefahren, daß er sich mit einer Psychopathin eingelassen hat! Der Killer bringt die Scharfschützin um, und alle sind zufrieden. Nur Platonow tut mir leid.«
    »Was faselst du da?« fragte Gordejew erstaunt. »Der Killer bringt die Scharfschützin um . . . irgendein Schwachsinn! Was ist los mit dir, Nastjenka? Fehlt dir etwas, Kindchen? Brauchst du Validol? Soll ich dir welches geben?«
    Nastja wandte ihren Blick von Gordejew ab und ließ ihn langsam zu seinem Spiegelbild im dunklen Fenster wandern.
    »Ich brauche kein Validol, Viktor Alexejewitsch, ich bin
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