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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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zusammenhing, die in seinem Auftrag anrief? Auf welche Weise konnte es mit ihr Zusammenhängen? Er wohnte bei ihr, das war längst klar. Aber warum hatte er ihr, Nastja, auf verschlüsselte Weise seine Adresse mitgeteilt? Warum sollte diese Frau nicht wissen, daß er seinen Unterschlupf preisgab? Weil er aus irgendeinem Grund aufgehört hatte, ihr zu vertrauen? So mußte es sein. Elf Tage lang hatte er ihr vertraut, und von einem Moment auf den anderen hatte es sich geändert. Warum? Was war vorgefallen? Ich könnte ja anrufen und fragen, grinste Nastja in sich hinein, die Telefonnummer habe ich ja jetzt. Dann wurde sie wieder ernst und kehrte in Gedanken zu Sergej Russanow zurück. Alles, was er gesagt hatte, sogar das, womit er seinen Freund Dmitrij Platonow verteidigte, diente in Wirklichkeit nur einem Zweck: seine Morde an Tarassow und Agajew zu vertuschen.
    Er hatte gesagt, daß Platonow einen bordeauxroten Diplomatenkoffer besaß. Das wußte er genau, weil seine Schwester ihnen beiden so einen Koffer geschenkt hatte. Beiden. Was das hieß, hatte Nastja damals nicht bemerkt. Sie hatte nicht verstanden, daß also auch Russanow so einen Diplomatenkoffer besaß. Gut, daß sie sich wenigstens jetzt daran erinnerte.
    Er hatte gesagt, daß an dem Tag, an dem Tarassow ermordet wurde, Platonow gegen neun Uhr morgens bei ihm zu Hause angerufen hatte. Aber Platonow sagte etwas ganz anderes, er behauptete, daß Russanow bei ihm angerufen hatte. Platonow war zu diesem Zeitpunkt zu Hause gewesen, aber wo war Russanow? Er schuf sich ein Alibi in der Hoffnung, daß niemand ausgerechnet Platonow nach der Wahrheit fragen würde.
    Und schließlich das Wichtigste. Er redete ständig davon, wie sehr er seine Schwester liebte, und daß er, wenn mit Dima etwas nicht in Ordnung wäre, die Beziehung zwischen den beiden nie geduldet hätte. Und nun hatte sich herausgestellt, daß mit Dima tatsächlich etwas nicht in Ordnung war. Er war ein geiler Bock, der wegen einer betrunkenen Schlampe Lenas Gesundheit aufs Spiel gesetzt hatte und ihre Liebe zu ihm verhöhnte. Das Ausmaß von Russanows Rache stand zwar in keinem Verhältnis zu Platonows Schuld, aber wer zu starker Liebe fähig war, der war auch fähig zu starkem Haß. Alles war eine Frage der Gefühle. Von sich wußte Nastja, daß sie unfähig war zu so heftigen Emotionen, aber jedem das seine. Bei dem einen hatte die Natur es so eingerichtet, bei dem andern anders.
    Sollte Russanow sich nun tatsächlich als das defekte Glied in der Kette erwiesen haben, von dem bei dem Anruf bei General Satotschny die Rede war? Welche verschlüsselte Nachricht hatte Platonow über den General übermitteln wollen? Ach, wenn man es wüßte . . .
    Nur die Gewohnheit, jeder Frage bis zum Ende nachzugehen, bewog Nastja dazu, den Stadtplan von Moskau zu öffnen und nachzusehen, wo sich die Iwanowskaja-Straße befand, in der Kira Lewtschenko wohnte und in der sich in diesem Moment höchstwahrscheinlich auch Dmitrij Platonow befand. Fassungslos starrte sie auf die Karte und spürte, wie ihr eiskalt wurde bei der Vorstellung, sie hätte versäumen oder vergessen können, in den Stadtplan zu sehen.
    Nastja löste sich aus der Erstarrung und griff nach dem Telefonhörer, um Andrej Tschernyschew in der Bezirksverwaltung anzurufen.
    »Andrjuscha, laß alles stehen und liegen, und hol die Liste der Sportschützen aus deinem Safe!«
    Diese Liste war gleich nach dem ersten von dem Scharfschützen verübten Mord angefordert und erstellt worden, seitdem lag sie bei Tschernyschew im Safe, da die Ermittlungsbeamten keinen einzigen Anhaltspunkt hatten, nach wem sie zwischen den zahllosen Namen suchen sollten. Jetzt war ein Anhaltspunkt aufgetaucht. Es gab einen ganz konkreten Namen und eine Adresse.
    »Suche nach Lewtschenko, K. W., geboren 1965.«
    »So einen gibt es nicht«, antwortete Andrej, mit den Blättern raschelnd.
    »Sieh noch einmal nach«, flehte Nastja, »es kann nicht sein.«
    »Nein, wirklich nicht, Nastja, so einen habe ich hier nicht.«
    »Und wen hast du?«
    »Lewitzkij, Lewikow, Lewaschow, Lewanskij, Lewstrojew, Lewtschenko, Boris Sergejewitsch, Lewtschenko, Igor Iwanowitsch. Und wie heißt deiner mit Namen und Vatersnamen?«
    »Kira Wladimirowna.«
    »Ein Weib?« brummte Tschernyschew und war plötzlich ganz bei der Sache. »Weißt du, ob diese Frau verheiratet war?«
    »Ich habe keine Ahnung. Aber du hast recht. Ist die Liste lang?«
    »Scheißlang. So, wie du es magst. Etwa anderthalb Kilometer.
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