Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
Vom Netzwerk:
habe.«
    »Meinetwegen. Aber die Gesetze gelten nun mal.«
    »Dann versuche ich eben, sie zu umgehen, deine Gesetze.«
    »Na prima. Es sind übrigens nicht meine Gesetze.«
    »Ich habe doch keine andere Wahl.«
    »Man hat immer die Wahl.«
    »Nicht in meinem Alter, Alte.«
    »Nenn mich nicht Alte.«
    »Dann behandle mich nicht wie einen Idioten. Bitte.«
     
    Zwar wollte ich einerseits gar nicht so genau wissen, was er über mich gehört haben mochte, andererseits verstand ich sehr wohl, warum er ausgerechnet zu mir gekommen war. Genau wie Gio denke ich, dass Gewalt von Gewalt zehrt und dass jeder Gewaltakt, der an einem Lebewesen, ob Mensch oder Tier, begangen wird, sich gegen uns
kehrt. Dennoch hatte mich die Beschreibung der Ferien im Familienkreis über die Maßen erheitert. Ich malte mir aus, wie Raphaël als eingefleischter Revoluzzer seine alten Überzeugungen in das Korsett frisch erworbener Umgangsformen zwängte, Herzoginnen die Hand küsste und dabei eine bergmaneske Hingabe an den Tag legte. Diese Gedanken hatte ich Gio nicht mitgeteilt, ich war besorgt, weil er nun die zweite Nacht unter meinem Dach verbringen sollte, obwohl seine Eltern von ihm verlangt hatten, heimzukehren. Zugleich war ich von seinem Ungehorsam entzückt und bewunderte sogar seine Aufsässigkeit.
    Langsam waren wir zum Haus zurückgegangen, mit gedämpften Schritten sanken wir im feuchten Gras ein, die Knöchel von Tau bedeckt.

V om Glockenturm schlägt es zwei Uhr. Eine andere Glocke, etwas weiter weg, antwortet wenige Sekunden später. Der Spiegel in meinem Schlafzimmer zeigt mir die Silhouette einer Frau mit langen, zusammengebundenen Haaren, ein großes Messingbett mit zerknitterten Laken, ein Fenster mit grauen Vorhängen vor schwarzem Hintergrund. An Schlaf ist nicht zu denken. Vielleicht lasten die Stunden ab einem bestimmten Alter doppelt schwer. Vielleicht fängt man an, die Nächte zu zählen. Ich betrachte mein Spiegelbild, die verschwommene Momentaufnahme der Frau, die ich inzwischen geworden bin. Ich denke an uns drei zurück, Raphaël, Micol und mich. Alles ist so schnell gegangen, dabei glaubte ich, genug Zeit zu haben.
    Ich sehe Gio wieder vor mir, den Durst in seinen Augen, aber auch die Zuversicht.
    Seine Ankunft hatte das Ende einer langen Phase der Ruhe eingeläutet, der Jahre, in denen es mir eher um Gerechtigkeit ging als um Geld, eher um Freiheit als um Liebe, eher um die Schönheit der Natur als um irgendeine Form von Macht, und eher um ein paar Wahrheiten,
die sich bewährten, als um DIE Wahrheit an sich, dieses Absolute, für das getötet und gestorben wird. Mein Leben glich mir. Ich entsprach mir selbst und ich dachte, so würde es weitergehen. Ich wusste nicht, was ich heute weiß. Und selbst wenn ich es gewusst hätte, was hätte das am Verlauf der Ereignisse geändert, in welcher Hinsicht auch immer?
     
    Nach unserem Gespräch am Wasser spülte ich das Geschirr, während Gio schlafen ging. Die Glühbirne über der Spüle erleuchtete einen Halbkreis, der restliche Raum war in Dunkelheit getaucht. Die Hände im Seifenwasser, empfand ich eine Mischung aus Angst und Amüsement. Draußen unterbrachen hin und wieder die Rufe von Nachtgreifvögeln die Stille, gefolgt von den leiseren Tönen und dem Rascheln einer umherstreifenden Feld-oder Waldmaus. In der Küche war es lauwarm, die sauberen Teller stapelten sich, die Gläser tropften ab. Danach rauchte ich ein paar Zigaretten unter dem Vordach. Ich rauche nur sehr selten tagsüber, weil an meinen Händen ständig Schlamm klebt, Stroh, Blut und alles andere, das hole ich dann abends nach - und nachts. Meiner Müdigkeit zum Trotz bin ich ungern ins Haus zurückgegangen, ich war besorgt, verärgert und zugleich merkwürdig beschwingt.
    Vor dem Zimmer, wo Gio bei offener Tür eingeschlafen war, das Gepäck neben dem Bett, verharrte ich nur eine Sekunde, im Gefühl, diese Szene schon tausendmal im Kino gesehen zu haben. Bloß dass es gewöhnlich Männer sind, die die Zimmertür schlafender junger Mädchen
aufdrücken. Gio lag quer überm Bett, nackt, ein Arm war unter dem Kopf verschränkt, der andere lag seitlich an, die Decken auf einen Haufen, das Kissen am Boden. Im zur Schulter geneigten Gesicht warf sein Nasenrücken - wie sein Vater hat er eine leicht gekrümmte Adlernase - einen reliefartigen Schatten auf die unrasierte Wange, halb Samt, halb Sandpapier. Seine leicht geöffneten Lippen waren die seiner Mutter, voll und geschwungen. Die in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher