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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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Erden aussterben.«
    Pause, dann ging es weiter:
    »Glaub mir, Emma, ich hab keine Angst, meine Stimme zu erheben, auch wenn man mich auslachen wird, weil ich keine Ahnung habe von ökonomischen Zwängen oder Politik und meine Ansichten damit wertlos sind. Allerdings glaube ich, dass alles viel einfacher ist als diese ganzen Argumente, mit denen man mich aushebeln will: Man muss den Menschen geben, was ihnen fehlt, ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Bildung, und den Tieren zurückgeben, was man ihnen geraubt hat, die Freiheit. Man müsste schon dümmer sein als ich, um nicht zu sehen, dass im großen Stil spekuliert wird, um Geld zu machen, unter anderem mit Waffen und Getränkedosen. Dafür werden Kriege angezettelt. Ich kenne die Lösung nicht, aber ich habe nicht den geringsten Respekt für die, die uns regieren und Lösungen anbieten sollten. Diese Leute lügen, sobald sie den Mund aufmachen, und alle tun so, als ob sie ihnen glauben. Ich hab es satt, mich die ganze Zeit zu ärgern.«
    Nach dieser langen Tirade zappelte er ein bisschen
hin und her, mit selbstzufriedener Miene. Ich blieb eine Weile stumm, bevor ich ihn fragte:
    »Hast du mit deinen Eltern darüber gesprochen?«
    »Was haben meine Eltern damit zu tun?«
    »Sie sind nun mal für dich verantwortlich, mein Kleiner«, entgegnete ich. »Außerdem sind sie nicht auf den Kopf gefallen, sie könnten dir helfen … Was ist? Warum lachst du?«
    »Man merkt, dass du sie schon länger nicht erlebt hast.«
    »Was meinst du damit?«
    »Wann bist du weggegangen? Gleich nach der Geburt der Zwillingsmädchen, oder?«
    »So ungefähr.«
    »Puh. Du würdest sie kaum wiedererkennen.«
    Gio fing eine kleine Mücke ein, die dicht an seinem Gesicht vorbeiflog, dann öffnete er die Faust und ließ sie wieder frei. Ich wagte, das Thema anzuschneiden, das mir keine Ruhe ließ. »Haben sie dir von mir erzählt?«
    »Was glaubst du wohl, warum ich hier bin?«
    »Was haben sie dir gesagt?«
    » Mir haben sie gar nichts gesagt. Sie haben miteinander über dich gesprochen. Und geglaubt, ich höre sie nicht. Warum denken Erwachsene immer, dass Kinder taub sind?«
    Danach hatten wir lange geschwiegen. Ein schmaler gelber Mond keilte sich zwischen die Zweige eines Baums. Gio sah zum Himmel auf, als wollte er die Zeit berechnen, die ihm noch blieb, um mich zu überzeugen, dann nahm er die Brille ab und rieb sie an seinen Shorts, während er murmelte:

    »Wie soll man in dieser Welt leben, wenn einem das, was dort läuft, nicht passt?«
    »Du bist vierzehn, Gio.«
    »Fünfzehn, bald. Außerdem spielt das keine Rolle.«
    »Meiner Ansicht nach hast du eine Dummheit begangen. Deine Eltern wollen nicht, dass du hierbleibst. Das war dir schon klar, als … noch bevor du gestern Abend bei ihnen angerufen hast. Du solltest übrigens längst zurück sein.«
    »Ich weiß«, hatte er gesagt und gestöhnt. »Versteh doch, Emma, bis Anfang September sind Schulferien, und diesmal fahre ich auf keinen Fall mit ihnen in die Toskana. Da reise ich lieber per Anhalter nach Alaska.«
    »Was hast du denn gegen die Toskana?«
    »Die tenuta meiner Großeltern … kennst du das Anwesen? Du hast doch bestimmt davon gehört?«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Dann stell dir mal eine Riesenvilla vor, auf Hochglanz poliert, wo die Sonne leider draußen bleiben muss, damit sie die Wandteppiche nicht beschädigt, die dort schon Jahrhunderte hängen. Dazu Dienstboten, die ungefähr so frisch und knackig sind wie die Addams Family in ihrer Gruft. Soll ich weitermachen?«
    »Mhm.«
    »Endlose Bridgepartien. Das Gesieze und die Abendessen auf der terrazza , dann müssen die Zwillinge und ich antanzen und einen guten Eindruck machen. Großmutter, die Die Göttliche Komödie als eine Art Who’s who gebraucht und nur Leute einlädt, deren Namen darin verzeichnet sind.«

    »Schon gut. Das hast du sicher nicht erfunden.«
    »Mama hat es mal jemandem am Telefon erzählt, aber es stimmt, ehrlich! Und außerdem wirst du ja nicht gezwungen, den Fräulein Tolomei beim Golfkurs Gesellschaft zu leisten. Die sind auch zu blöd! Scheiße, Mann, danach will ich nur eins, Emma, abhauen und in einer einsamen Hütte hausen!«
    »Scheiße zu sagen ist scheußlich, lass das. Und was würdest du in Alaska eigentlich machen, Rentiere jagen und dich von Beeren ernähren? Davon abgesehen, dass das eine, sagen wir, radikale Entscheidung wäre, bist du dafür viel zu jung.«
    »Das ist das Dümmste, was ich jemals aus deinem Mund gehört
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