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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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kenne Grandin gut, ihn, seine Frau und seine zwei halbwüchsigen Söhne. Die Jungs sehen beide gleich aus, große blauschwarze Augen, braun gebrannte Haut, grob gemeißelte Züge, kräftiges kastanienbraunes Haar, der Bürstenschnitt im Nacken und um die Ohren zu kurz. Diese zwei strecken mir nie die Wange zum Kuss entgegen. Umso besser, weil mir solche gezwungene Herzlichkeit nie gefallen hat. Die Erwachsenen riechen nach
Tabak oder Alkohol, nach saurem Kaffee und überlangen Tagen. Ich dränge mich nicht gern auf. Dafür schätze ich ihren festen Händedruck umso mehr.
    Die Mutter ist sanft, rundlich, trägt Schürzen, die sie wie eine richtige amerikanische Farmerin aussehen lassen. Überhaupt wirkt die ganze Familie wie aus dieser Fotoreportage, die am Tag entstanden ist, als Bobby Kennedys Sarg im Zug von New York nach Washington durch fünf Bundesstaaten reiste. Dieser Konvoi fuhr in aller Gemächlichkeit dahin, während das Amerika von Faulkner, Jim Harrison und Cormac McCarthy entlang der Bahnstrecke strammstand. Mit dem Hut in der Hand sahen die Männer zu, wie der Traum einer besseren Zukunft am Horizont entschwand, einer Zukunft, die ihnen die Kennedys versprochen hatten. Paul Fusco, der Fotograf, hatte von einem Zugfenster aus fast zweitausend Aufnahmen gemacht, die Kamera auf das Brett gestützt. Am Ende des Tages musste er die Hände in einen Eiseimer tauchen, während Muskelkater ihm die Arme lähmte, dafür hatte er die Bilder all dieser weinenden Menschen im Kasten, dieser kleinen Jungen, die Fahnen schwangen, junger Mädchen, die Blumen warfen, aufrechter Soldaten in Uniform, die mit den Fingern an der Schläfe einen letzten militärischen Gruß erwiesen.
    Die erstgebärende Stute schnaubte. Ab und zu wieherte sie, aber es klang nicht wie das freudige Wiehern, mit dem sie auf mein Hupsignal reagierte, wenn sie mich vorbeifahren sah.
    Ich musste ganz tief in die riesigen Gebärmutterhörner hineingreifen, vor den Augen der beeindruckten Kinder.
Ich setzte die rechte Handkante ein, während ich mit der linken Hand zog, danach legte ich die Plazenta auf den sauberen Boden aus, um ihre Unversehrtheit zu überprüfen. In dieser Form ausgebreitet, wirkte die Membran wie eine seltsame lilafarbene Seidenhose. Die Jungen atmeten mit offenem Mund, die Fäuste in den Taschen geballt wie ihr Vater, der hinter ihnen stand. Sie traten einen Schritt vor, um sich bessere Sicht zu verschaffen, anschließend reinigten wir gemeinsam das Fohlen. Es stand bereits auf seinen Spinnenbeinen und hob das kleine Maul zum Euter.
    Habe ich es schon erwähnt? Ich bin stolz auf meine Hände. Sie sind hart und glatt wie Leder, mit kurz geschnittenen Nägeln und hervortretenden Sehnen. Handschuhe ziehe ich nie an, ich muss die Nachgeburt spüren. Ich sehe das als Mamas Erbe an: Sie konnte aus mir zwar keine Musikerin machen, aber sie hat mir trotzdem ihren kraftvollen und sensiblen Griff vermacht. Diese Hände sind wie gute Werkzeuge, dafür gemacht, zum Ursprung des Lebens vorzudringen. Ich trage keinen Ring am Finger, kein Band ums Handgelenk. Ich bin stets mit offenen Händen durchs Leben gegangen und habe die Zeit wie Wasser, wie Sand verrinnen lassen, ohne etwas zu behalten.
     
    Nach dem Abfohlen bin ich nach Hause gegangen. Die Sonne, die noch rot und tief über dem Horizont schwebt, ist eine Herbstsonne - allerdings der Herbst des Südens. Der Raureif der vergangenen Nacht ist eine Ausnahme dort, wo ich jetzt lebe. Ich ertrage die Kälte nicht mehr
oder vielleicht habe ich einfach keine Lust mehr, sie zu ertragen.
    Von meinem Küchenfenster aus sehe ich riesige, noch nebelverhangene Wiesen. Die wenigen Sträucher am Graben, von zarten Spinnweben umgeben, zittern im Wind, flattern wie Brautschleier. Etwas weiter weg liegen schwarze Kühe inmitten weißer Fiederlappen mit ihren Kälbchen. Jeder Grashalm glitzert in der klaren Morgenluft. Ich löffle Kaffee in den Filter, schraube die Espressokanne zu, stelle sie auf den Gasherd und drehe mich um, weil ich Gio küssen will, der soeben eingetroffen ist. Seine Wangen fühlen sich immer noch halb wie Samt und halb wie Sandpapier an, diese Mischung, die mich entzückt hatte. Er kommt jedes Wochenende hierher und bereitet sich auf die Zulassungsprüfung für die Nationale Veterinärmedizinische Hochschule vor.
    Ich habe ihm ebenso viel beigebracht wie er mir. Den Biss, die von Härte durchsetzte Zärtlichkeit, die Beherrschung, die der Hingabe weicht. Er hat sich mir hingegeben,
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