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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr
Autoren: Lisa Bjaerbo
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Ich muss ganz fürchterlich dringend pinkeln.
    Echt.
    Ganz fürchterlich dringend.
    Das hat nichts damit zu tun, dass ich mal muss, ihr wisst schon, wie kleine Kinder im Auto, wenn sie sich langweilen. »Maaaama, ich muss mal!« Nichts davon.
    Ich bin schon lange weit beyond »Ich muss mal«.
    Ich muss so fürchterlich dringend pinkeln, dass mein unsägliches Bedürfnis, Wasser zu lassen, meinen Verstand zu übersteigen droht, und es gibt nicht viel, was meinen Verstand übersteigt, wirklich nicht.
    Gleich pinkel ich mir in die Hose.
    So was passiert, das ist nicht ungewöhnlich.
    Bestimmt pinkel ich mir in die Hose, um dann den Rest des Tages mit vollgepisster Jeans in der Schule rumzulaufen, wenn diese verfluchte Klotür nicht in den nächsten drei Sekunden aufgeht und ich meinen Hintern auf die kalte Klobrille setzen und dem Druck freien Lauf lassen kann, bis die Schüssel randvoll ist.
    »Stehst du an?«
    Ein Mädchen mit blonden Ponyfransen, die über die Augen hängen, sieht mich fragend von der Türöffnung an. Ich kenne sie, sie ist aus der Elften, glaube ich.
    Ich nicke verkniffen, traue mich nicht, den Mund aufzumachen.
    Bloß nichts unnötig öffnen.
    Schön zusammenkneifen.
    Fein dicht und zu.
    Glaubt die vielleicht, ich stehe hier zu meinem Vergnügen, oder was? In der hintersten Ecke, weit weg von allem Weltgeschehen? Da muss man schon ziemlich bekloppt sein, um das zu glauben. Mein Gott, bin ich nur von bescheuerten Idioten umgeben?
    Ich nicke gequält in Richtung Toilettentür.
    »Besetzt«, zische ich überdeutlich zwischen den Zähnen hervor. Damit sie auch wirklich versteht, nachdem sie offenbar in keinem ihrer Schulbücher je was über Schlangenbildung auf öffentlichen, insbesondere Damentoiletten gelesen hat.
    Sie zieht die Augenbrauen zusammen und sieht mich noch fragender an.
    »Warum nimmst du nicht die da?«
    Sie zeigt auf die Tür zur Besenkammer.
    »Soll ich in die Besenkammer pinkeln?«, frage ich. Erstaunt. Das hätte ich nicht von ihr gedacht! Stille Wasser, sag ich nur.
    Sie seufzt.
    »Das ist keine Besenkammer«, sagt sie und macht die Tür für mich auf. »Siehst du?«
    Und das tue ich. Ich sehe die hübscheste, weißglänzendste Kloschüssel, die es auf der Welt je gegeben hat, und ich sehe schon meinen Allerwertesten auf der Klobrille, wenn ich nur die Hose schnell genug runterkriege und die Trulla endlich die Türklinke loslassen würde, damit ich abschließen kann, danke für den Tipp und tschüs, klick, so, jetzt, da, endlich!
    Plätscher.
    Das Gefühl, wieder atmen zu können.
    Diese Erleichterung!
    Ich pinkele und pinkele und höre die andere in die Toilette neben mir kommen und gehen, sich die Hände waschen und verschwinden, während ich pinkele und pinkele.
    Ich pinkele bestimmt eine Viertelstunde.
    Dann erhebe ich mich, ziehe die Hose hoch, drehe das Schloss um und drücke die Türklinke nach unten, um aus der Toilette zu gehen.
    Aber die Tür geht nicht auf.
    Ich drehe noch einmal das Schloss hin und her, drücke wieder die Klinke nach unten und denke: Aber jetzt! Jetzt wird’s ja wohl klappen.
    Aber die Tür lässt sich nicht öffnen.
    Ich drücke die Klinke tausendmal runter, drücke mit der Schulter gegen die Tür, rüttele an der Klinke und drücke und ziehe und trete und denke: Verdammte Scheiße, ich muss hier raus!
    Aber nein.
    Muss ich offensichtlich nicht.
    Die Tür hat sich verkeilt, und es ist niemand da, der mein Klopfen hört.
    * * *
    Manchmal, wenn ich mich so im Spiegel betrachte, kriege ich Lust, an meiner Schulter zu knabbern. Mal probieren, sozusagen. Ob ich nur halb so lecker bin, wie ich aussehe. Manchmal krieg ich auch Lust, mir eine zu scheuern, aber das ist ein anderes Kapitel.
    Ich habe: dunkle Haare und Frisuren, die man nicht für möglich halten sollte. Klamotten in tausend Farben. Sommersprossen auf der Nase, eine Perle in der Lippe und ziemlich oft einen komischen Hut auf dem Kopf.
    Ich bin: sechzehn Jahre und elektrisch.
    * * *
    Schultoiletten sind in der Regel recht eng. Woran man normalerweise nicht allzu viele Gedanken verschwendet. Meistens geht man rein, erledigt sein Geschäft und verschwindet wieder.
    Erst, wenn man mal in so einem Ding eingeschlossen ist, fällt einem auf, wie eng die eigentlich sind, diese Kabuffs. Maximum zwei Quadratmeter, schätze ich mal. Und es gibt nichts außer der Kloschüssel, einer Klobürste, Klopapier und einem Plastikhalter für Hygienebeutel. Nicht mal ein Waschbecken ist hier, die Waschbecken befinden
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