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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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noch schwarzen Locken zurecht. Nur die Schläfen waren inzwischen silbrig. Seine Finger spielten mit dem Zuckerpapier. Er sah auf die Uhr, zog den Mantel fröstelnd um sich, danach setzte er sich wieder gerade hin und bestellte einen weiteren Kaffee. Sein Blick schweifte umher. Ich dachte, gleich würde er mich entdecken und ich wäre gezwungen, auf ihn zuzugehen, ein paar nichtssagende Worte zu äußern, ohne zu stammeln, so zu tun, als freute ich mich, ihn wiederzusehen, als wären wir alte, ein wenig verwirrte Freunde.
    Aber wohin dann mit meiner Lust, ihn an die Hand zu nehmen und in Stille und Dunkelheit des erstbesten
Hotelzimmers einzutauchen? Wohin mit diesen ganzen Stunden, in denen ich fast erstickt wäre an manchen Erinnerungen, die mit ihm, mit unserer Geschichte zusammenhingen, wohin mit der verzweifelten Wut der Verlassenen? Mit all diesen einsamen Jahren, die daraus folgten, mit diesem ganzen Leben, in dem ich mich geduckt habe und den Sturm über mich hinwegziehen ließ?
    Eine junge Joggerin lief mit wehendem Zopf und langen nackten Beinen vorbei. Nachdem er ihr mit den Augen gefolgt war, sah er ein weiteres Mal auf die Uhr, schob dabei den Jackensaum und den etwas locker sitzenden Hemdsärmel zurück. Nie hätte er gedacht, dass ich nicht kommen würde. Ich zog mich in den Schatten zurück und verschwand.

E s gibt Momente, die über ein ganzes Leben entscheiden, Zimmer, deren Tür man eines Morgens zumacht und die man nie wieder betreten wird, Spiegel, in denen man einen Teil seiner selbst zurücklässt.
    Es gab Nächte, in denen ich mir die Augen aus dem Kopf geweint habe, andere, in denen die Lust so maßlos wie rein war, wieder andere, in denen ich einfach nicht schlafen konnte, wie vergangene Nacht. Mit offenen Augen lag ich da und versuchte zu begreifen. Ich spürte das Gewicht von Gio als Baby, auf meine Hüfte gestützt. Ich dachte an meine beiden Freunde Annie und d’Aurevilly, diese unangepassten, unberechenbaren Wesen, vom Leben überrumpelt und sich selbst dabei so treu, Schwester und Onkel, Trostspender, Gastfamilie.
    Ich sah Mama, über ihr Klavier gebeugt, Mama, die mir jeden Tag mehr fehlt, und ein Ende ist noch lange nicht abzusehen. Ich dachte daran, dass ich immer nur diesen einen Mann geliebt und ihn abgewiesen hatte, als er zu mir wollte; dachte an die Eifersucht, die mich durchbohrte,
wenn Micol Gio stillte. Ich weiß bis heute nicht, ob wir uns gehasst oder geliebt haben, sie und ich - oder ob beides zutrifft.
     
    Ich wurde in einem Gerichtssaal verurteilt, der an ein Speisezimmer bei Großeltern auf dem Land erinnerte oder einen Altarraum in einer geschlossenen Kirche. Als Medaillon in die Mitte der hinteren Wand eingelassen, wachte das Bildnis einer barfüßigen Frau mit braunem Kräuselhaar und einem von einem Schwert durchbohrten Buch eher über die Deckenrosetten als über die Szene, die sich unten abspielte. Zwei große Leuchter mit milchigen Kugeln strahlten ein blasses Licht aus, das uns alle wie unerfahrene und unsichere Theaterschauspieler wirken ließ, die sich ständig verhaspelten. Mein Name wurde aufgerufen, ich trat in den Zeugenstand. An den Anfang erinnere ich mich: »Ihr Name lautet Emmanuelle Adriansen?« - »Ja, aber man nennt mich Emma, Herr Vorsitzender.« - »Madame, man beschuldigt Sie …
    Den Rest habe ich mehr oder weniger vergessen. Ich starrte auf die große Wanduhr mit dem Schriftzug Lex . Ich weiß noch, wie gelassen ich das Urteil aufnahm, das mir drei Jahre Gefängnis auferlegte, wobei die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ich dachte an jenen Sommer zurück, an das Rosenblütenbad, das Gio für mich eingelassen hatte und in das er ebenfalls eingetaucht war. An die wie weiße Schmetterlinge rund um das Bett verstreuten zerknüllten Taschentücher. An das Moskitonetz, das er eines Nachts mit Glühwürmchen bestückt hatte.

D ie schlaflose Nacht, die ich gerade verbracht habe, belastet mich nicht, und das Tagwerk aufzunehmen, ist das beste Mittel gegen die Gifte der Vergangenheit. Bei Sonnenaufgang klingelte das Telefon, kaum, dass ich in den Bademantel geschlüpft war.
    Die Stute meiner Nachbarn Grandin, ein kräftiges Percheron-Kaltblut, blond wie Hafer, würde bald abfohlen. Der Züchter bat um Entschuldigung, weil er so früh anrief, und das an einem Samstagmorgen. Er sprach nur zögerlich in den Hörer. Ich wartete. Er räusperte sich und sagte, er rechne mit Komplikationen. Für seine Verhältnisse eine wahre Redeflut.
    Ich
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