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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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wenn man nicht mehr leben will. Man stirbt, weil man sich aufgibt.
    Es war vorbei. Ich habe das Haus aufgelöst, die Möbel verkauft, die Kleider verteilt, Mamas Klavier verschenkt, und dann bin ich weggegangen.

E s ist ein beliebiger Abend zwischen Weihnachten und Neujahr, einer der dunkelsten, glitzerndsten Abende des Jahres. Ich warte in diesem Pariser Café auf sie, wo wir unzählige Male gefrühstückt haben und geraucht, bis die Aschenbecher überquollen, wo wir geweint und gelacht und sogar einmal vor sehr langer Zeit auf ein neues Jahr angestoßen haben. Eines dieser Lokale, wo sich alle treffen, wo diejenigen, die man kennt, niemanden erkennen, und die, die einen kennen, manchmal das Gegenteil vorgeben.
    Micol verspätet sich. Auch das ist mir vertraut, sie bleibt sich treu, hält sich, wie so oft, an ihre eigene Zeitrechnung. Bei ihr weiß man nie, ob die Verabredung tatsächlich getroffen und richtig oder falsch verstanden wurde. Mit ihr war stets alles ein wenig komplizierter, als zeichne sich jede ihrer Handlungen durch eine Aura des Unbestimmten aus. Sie nimmt sich das Recht heraus, es sich jederzeit anders zu überlegen, ohne eine Erklärung schuldig zu sein.
    Ich trinke mein erstes Glas, nehme das zweite in Angriff. Die Einrichtung fängt bereits an, vor meinen
Augen zu verschwimmen, als Micol eintrifft. Fast eine Stunde Verspätung, sie entschuldigt sich nicht, ist außer Atem. Kurze einreihige Perlenkette, Twinset, schwarze Samthose. Eine Frau wie aus La Notte oder L’Avventura . Kaum mache ich den Mund auf, um etwas zu sagen, unterbricht sie mich auch schon:
    »Du wolltest mich sehen, hier bin ich, aber versuch erst gar nicht, dich reinzuwaschen oder zu rechtfertigen. Du widerst mich an, Emma. Ich weiß, was zwischen Gio und dir vorgefallen ist. Ich weiß alles.«
    »Was alles?«
    »Hör auf. Lass es einfach.«
    Ich schweige.
    »Das hätte ich nie für möglich gehalten. Und dann auch noch bei dir!«
    Ich schweige weiterhin. Sie fährt fort:
    »Na los, fang schon an. Wenn du etwas zu sagen hast, sag es. Aber lüg mich bitte nicht an.«
    Auf einmal, und ganz entgegen meiner Absicht, sprudeln mir die Worte aus dem Mund, ohne dass ich sie zurückhalten kann:
    »Ausgerechnet du verlangst die Wahrheit!«
    Darauf war sie nicht gefasst. Ich spreche weiter:
    »Meinetwegen, aber dann packen wir beide aus, einverstanden? Du und ich haben uns noch nie so richtig über die Vergangenheit ausgesprochen!«
    Ihre Augen! Wenn sie könnte, würde sie aus mir ein Häufchen Asche machen und sie freudig in alle Winde verstreuen.
    »Was soll das?«

    Die rasende Wut, der Frust, der Schmerz, die mich die ganzen Jahre hindurch vergiftet haben, quellen jetzt über. Ich halte mich nicht länger zurück:
    »Dachtest du etwa, ich würde mich mit den Krümeln begnügen, die von deinem Teller fallen? Hast du vielleicht geglaubt, für mich sei das immer noch gut genug? Ich würde mich damit schon zufriedengeben?«
    »Du verlierst jeden Bezug zur Wirklichkeit, Emma. Und du hast außerdem eine feuchte Aussprache, das ist ekelhaft.«
    »Wenn du wüsstest, wie egal mir das ist, ob ich dich anspucke oder nicht. Ich für meinen Teil habe Schlimmeres durchgemacht. Aber das kratzt dich natürlich nicht … hab ich recht?«
    »Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben. Die Verantwortung für das, was dir blüht, liegt allein bei dir.«
    »Mir geht es gerade gar nicht um Gio.«
    »Um was dann?«
    »Um früher. Du weißt schon.«
    »Was faselst du da, meine arme Emma.«
    »Genau, arme Emma. Arme dumme Emma, die glaubte, ein richtiges Leben zu haben und einen Mann, der sie liebt, bevor du auf den Plan getreten bist.«
    »Das ist doch alles Schnee von gestern! Davon will ich nichts mehr hören. Und wenn du glaubst, dass du dich damit aus der Affäre ziehen kannst … Ich hab das so satt. Ich gehe jetzt.«
    Sie steht auf, sammelt ihre Sachen ein. Ich stehe ebenfalls auf, gehe um den Tisch herum und drücke sie unsanft auf den Stuhl zurück. Ein Anflug von Angst huscht
ihr über das Gesicht, verzerrt ihre Züge. Der Kellner, der gerade durch den Raum geht, bleibt kurz stehen, etwas verunsichert, dann geht er weiter. Ich setze mich wieder hin und fahre etwas leiser fort:
    »Weißt du was? Du solltest mir jetzt besser zuhören.«
    »Na gut«, zischt sie, »von mir aus, wenn du darauf bestehst. Wie lange ging das noch mit dir und Raphaël, nach unserer Hochzeit und sogar nach Gios Geburt? Ach was, sogar nach der Geburt der Zwillinge … So
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