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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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Dabei verstieß ich mit dieser Katzenadoption gegen alle meine Prinzipien: Am Ende stehen die Tiere als Verlierer da, wenn sie uns vertrauen.
Es ist egoistisch zuzulassen, dass ein Tier seine Unabhängigkeit für einen Napf voll schlechten Futters aufgibt - und das sage ich nicht als Tierärztin. Es geht mir im Einzelnen nicht um die Leckerlis, aber wenn wir alle ständig irgendwelchen Mist zu uns nehmen, wird uns letztendlich die Erde selbst verwerfen. Die Friedhöfe quellen über vor versteinerten Leichnamen, die der Zahn der Zeit nicht aufzehren kann. Umweltverschmutzung, Pestizide, Konservierungsmittel, das alles trägt dazu bei, aus unseren Körpern und den Körpern der Tiere, die mit uns leben, ein- und dasselbe Fleisch zu machen - denaturiertes Fleisch. Nach meinem Tod möchte ich verbrannt oder in einer Kiefernkiste begraben werden, der schlichtesten, einfachsten, die zu haben ist. Die Kiste, die am schnellsten verrottet. Mehr will ich nicht.
     
    Trotz allem hielt ich mich aufrecht. Ich sagte mir, dass dieser Albtraum irgendwann vorbei wäre, dass ich Micol treffen und sie überreden würde, das Ganze fallen zu lassen, dass es gar nicht erst zum Prozess käme. Fünf Jahre Gefängnis? Und wofür? Die fünfundsiebzigtausend Euro Geldstrafe, die ich womöglich berappen musste, besaß ich nicht. Sicher, man könnte mein Haus beschlagnahmen und den Erlös mit der Bank teilen, aber mehr gab es bei mir nicht zu holen. Ich hatte nichts anderes, und das war mir seltsamerweise ein Trost.
     
    Als jemand die Stalltür öffnete, stand ich mit klopfendem Herzen auf. Im Lauf des Nachmittags war ich einen Moment lang in Panik geraten. Ich hatte begriffen,
dass es Absicht war, Teil eines Plans. Ich war auf einen Angriff gefasst, der vielleicht mit Gewalt einhergehen würde, auf Wut oder Brutalität. Ein Schwall kalte Luft drang ein, wirbelte Staub auf und ließ die Kühe muhen. Ich kämmte mich mit den Fingern und band meinen Pferdeschwanz neu, bevor ich hinausging, lächerlich, ich weiß, aber mehr konnte ich nicht tun, um mir einen gewissen Halt zu geben, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Draußen war es bereits Nacht. Meine Nasenlöcher juckten. Rauch, moderndes Laub, feuchte Erde, Mist. Ich blinzelte. Es war frisch und mild, ein feiner Sprühregen fiel auf Bäume und Büsche. Etwas weiter weg bellten Hunde. Der grelle Lichtstrahl einer Laterne, die über der Stalltür hing, zerstörte die sanfte Atmosphäre. Die Leute, die sich in zwei Reihen stumm und reglos gegenüberstanden, wirkten in diesem Licht wie gemeißelt. Als warteten sie an einem Prozessionstag auf den Baldachin der Jungfrau Maria.
    Eine Frau räusperte sich und spuckte mir vor die Füße. Hinter mir hielt ein Bauer, den ich gut kannte, das kleine Gatter. Das machte mir wieder ein wenig Mut, denn ich konnte nicht glauben, dass dieser Mann mir Böses antun würde. Im Vorjahr hatte ich ihm und seiner Frau geholfen, an die hundert Lämmer auf die Welt zu holen, wie am Fließband, in einer höllischen Mischung aus Eingeweiden, Exkrementen und Erschöpfung. Als wir fertig waren, stießen wir, die Haare mit blutigem Schlamm verklebt, die Haut dreckverschmiert, die Fingernägel schwarz und rissig, auf die neuen Leben an, auf die gemeinsame Arbeit, auf unsere Gesundheit. Die letzten
zehn Jahre hatte ich mich niemals geschont. Wir kannten uns gut, wir schätzten einander. Ich hatte seine Tiere behandelt, in seiner Küche gegessen, mit seiner Frau Späße gemacht - und mit seinen Kindern. Ich begegnete seinem Blick. Er senkte die Augen. Sollten diese harten Jahre also plötzlich nichts wert sein, wegen … weswegen eigentlich? Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und betrachtete der Reihe nach diese stummen Menschen in Arbeitskleidung mit ihren verschlossenen Gesichtern. Es war merkwürdig, sie alle hier zu sehen. Die Bäckerin, der die Augen förmlich aus dem Kopf fielen, so, wie sie mich anstarrte, mit offenem Mund, keuchend, als würde sie verdursten. Der Metzger, halb hinter seiner Frau versteckt. Der Mann, dessen Rind Bijou ich behandelt hatte, neben seiner Gattin. Keiner von ihnen hielt meinem Blick stand. Sie senkten alle die Augen.
    Diese Leute, die sich sonst nur um ihre Arbeit und ihr Einkommen kümmerten, hatten die Zeit gefunden, sich zu versammeln und mich zu verurteilen. Lag es allein am Tabu, das ich gebrochen hatte? Oder war das nur die brennende Lunte am Pulverfass gewesen? Ich fragte mich, ob nicht einfach das Leben, das ich die ganze
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