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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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uns im Licht der Scheinwerferkegel, um sich hinter uns wieder in reinstem Schwarz-Weiß zusammenzusetzen. Wir erreichten das schlafende Dörfchen, wo das große, hell erleuchtete Haus aus Stein und Holz sich von einem Fichtenhain abhob.
    Auf dem Weg von der Garage zur Haustür wurden unsere Schuhe rasch eingestaubt. Wir hüpften ein bisschen auf der Stelle, schlugen die Füße zusammen, um den Schnee abzuschütteln. D’Aurevilly hatte kaum Zeit gehabt, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, als die Tür aufging. Die Frau auf der Schwelle lächelte uns an und sagte: »Ich habe euch erwartet.«
    Drinnen brannte ein Kaminfeuer. Davor schliefen in einem tiefen Sofa und auf zwei Ledersesseln zwei Hunde und eine dicke Katze. Früher weigerten wir uns beide, Haustiere zu halten. Offenbar hatte auch er schließlich nachgegeben.
    Ein kleiner Tisch war gedeckt, mit Kartoffelsalat, Aufschnitt und Käse, Brotscheiben, in einem weißen Tuch eingeschlagen, einer Flasche Rotwein und funkelnden Gläsern. D’Aurevilly küsste die Frau auf den Mund, ein kurzer, genießerischer Kuss, den sie hold erwiderte. Danach reichte sie mir die Hand und begrüßte mich, wieder mit einem Lächeln. Ihr Gesicht war sanft, mit hohen Wangenknochen, die ihr Alter, vermutlich in etwa das
meines Freundes, hervorragend kaschierten, dazu blaue Augen und kurze weiße Locken. Eine schöne Frau, größer als ich, aufrecht und hoheitsvoll, eine Frau, deren ernste Ausstrahlung durch ihr Lächeln gemildert wurde. Sie sah mir in die Augen, als sie freimütig bekannte, sie habe so viel von mir gehört, dass sie das Gefühl hätte, mich nunmehr zu kennen. Sie habe sogar leichte Eifersucht verspürt, fügte sie hinzu und ging aus dem Zimmer. Zwei Frauen, die um den alten d’Aurevilly buhlten! So waren wir unter vier Augen, ich ein wenig verlegen, der Chef, den die Frau »meinen Tom« nannte, trunken vor Seligkeit. Er blinzelte mir zu und flüsterte, damit sie es nicht hörte: »Sie heißt Hélène. Ist sie nicht schön? Sie ist mir schon in der Vorschule aufgefallen, ich begehre sie seit mehr als fünfzig Jahren, aber sie hat früh geheiratet, und zwar nicht mich. Was für eine Zeitverschwendung … Dann ist ihr Mann letztes Jahr mit einem jungen Hüpfer auf und davon. Dieser Trottel! Sie klagte, ihr Leben sei vorbei … das wäre auch bei mir der Fall gewesen, wenn sie mich nicht gewollt hätte! Ich habe ihr wie ein Besessener den Hof gemacht. Das ist eine Heidenarbeit, eine Frau zur Vernunft zu bringen … Ach, ihr Mädchen! Da rettet man euch das Leben und muss sich dafür auch noch bei euch bedanken!« Seine liebevollen Augen blitzten vor Vergnügen.
    Hélène kam zurück, dann aßen wir, fachten die Glut an, schmusten mit den Tieren, lachten über ein paar Neckereien, starrten ins Feuer, hingen unseren Gedanken nach. Es war der erste einer Reihe von herzlichen, heiteren Abenden.

    Ich schlief jede Nacht unter einer kuscheligen Daunendecke, nahm jeden Morgen ein üppiges Frühstück ein, ging im Wald spazieren, diskutierte mit den beiden, die viel zu weise, viel zu scharfsinnig waren, um mich zu verurteilen, ausgiebig über meinen Fall. Der Chef nannte Gio den »Spießer«. Das brachte mich zum Lachen, Hélène sah uns etwas verwirrt an und gestand ihr Unwissen ein. »Ein Spießer«, erklärte ihr d’Aurevilly, »ist in diesem Fall ein junger männlicher Hirsch, der sein erstes Geweih stolz vor sich herträgt.«
    Nachdem sie meinen langen Ausführungen gelauscht hatten, bestärkten sie mich beide in meinem Vorsatz, Micol zu treffen, um sie zu überreden, die Anzeige zurückzuziehen.
    Diese Tage vergingen, gleich allen glücklichen Tagen, wie im Flug. Hélène und Thomas verwöhnten mich nach Strich und Faden, behandelten mich wie die Tochter, die sie nicht hatten. Die Nähe zu ihren Herzen beruhigte mein Herz, linderte meinen Schmerz. Bis auf die letzte Nacht.
    Wie gelähmt lag ich im Bett, starrte auf das dunkle Fensterrechteck und wagte nicht, mich zu rühren. Ein Uhu schrie, und von Zeit zu Zeit hörte ich in der Ferne einen anderen Schrei, einen Schrei aus höchster Not. Diese Klage drückte das ganze Leid einer Trennung aus, die sinnlose, endgültige Grausamkeit des Todes. Schlaf war mir in dieser Nacht nicht vergönnt. Zwischen zwei Weinkrämpfen wartete ich fiebrig auf den Morgen. Am nächsten Tag sah ich furchtbar aus, aber meine überaus taktvollen Freunde verzichteten darauf, mich zu befragen.
Beim Abschied hielt d’Aurevilly mich fest an sich
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