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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden
Autoren: Simonetta Greggio
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lange, bis du weggezogen bist, richtig? Und das war dir also nicht genug, den Kleinen musstest du auch noch rannehmen! Gratuliere, wenn du uns alle in die Scheiße reiten wolltest, ist dir das prima gelungen.«
    Sie schnieft und faltet eine Papierserviette auf. Sie putzt sich die Nase. Raphaël hat immer Taschentücher dabei, sie nicht. Sie spricht weiter:
    »Glaubst du wirklich, ich hätte nicht Bescheid gewusst, ich hätte das damals nicht gemerkt? Ich dachte, es würde sich von allein geben, es würde irgendwann zu kompliziert werden. Und so war es dann auch. Reicht das? Bist du nun zufrieden? Kann ich jetzt endlich gehen?«
    Ich flüstere, so leise, dass Micol sich zu mir beugen muss:
    »Nein. Wir sind noch nicht fertig.«
    »Hat man dir eigentlich schon gesagt, wie armselig du bist, Emma?«, hechelt sie.
    »Weißt du noch …? Ich weiß, dass du ihn nicht vergessen hast, diesen Abend.«
    »Welchen Abend?«

    »Den Abend, als du mir mitgeteilt hast, dass du ein Kind erwartest.«
    »Was ist damit?«
    »Gio ist Ende Juni geboren.«
    »Ja, und?«
    »Zehn Monate später!«
    »Ach, das meinst du? Sicher, zählen kannst du noch, oder?«
    »Du warst mir gegenüber nicht ehrlich, Micol. Und Raphaël hast du auch belogen. Uns beide. Du hast uns gesagt, du wärst schwanger, dabei stimmte das gar nicht. Was hast du ihm denn weisgemacht? Angeblich sind Männer ja so blöd, die wollen gar nicht so genau wissen, wie das eigentlich abläuft. Du hast ganz schön Glück gehabt, meinst du nicht?«
    »Ich meine vor allem, dass es dafür jetzt ein bisschen spät ist, Emma. Die Sache ist längst beendet, aus und vorbei.«
    »Aber damals war noch alles offen.«
    »Hör auf, Emma. Es ist vorbei. Verstehst du? Für immer vorbei.«
    »Ständig wiederholst du das, als würde die Zeit alles rechtfertigen. Wie kommst du darauf?«
    »Weil es so oder so …«
    »Weil es so oder so auf dasselbe hinausläuft? Du hast gewonnen? Und ich habe verloren? Ist es das?«
    Als sie diesmal aufsteht und mit der Andeutung eines Lächelns ihre Jacke anzieht, ohne mir zu antworten, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, mit diesem Gefühl grenzenloser Überlegenheit, das dafür sorgt,
dass sie sich so gerade hält, als balanciere sie seit jeher einen Stapel Bücher auf dem Kopf, lasse ich sie ziehen. Der Kellner fragt mich leicht besorgt: »Alles in Ordnung?«, und ich nicke, mit vernebeltem Blick. Im trüben Spiegelsilber scheint das Laternenlicht auf; es ist eine der letzten Nächte des Jahres.

R aphaël hingegen ließ sich den ganzen Winter Zeit, bevor er mich anrief; wir verabredeten uns in einem der beiden kleinen Bistros am Jardin du Luxembourg, beim Eingang Rue de Médicis. An diesem Tag war ich diejenige, die sich verspätete.
    Ich war gerannt. Um zu verschnaufen, blieb ich vor dem Brunnen von Acis und Galatea stehen. Die junge Frau im Schoß ihres Geliebten schien in ihrer völligen Hingabe stets mehr Kraft auszustrahlen als der Mann, der sie stützt. Ihre Hand hinter dem schönen männlichen Nacken spielt mit seinen Locken. Angesichts ihrer sinnlich hingegossenen Haltung verweist allein dieses Detail darauf, dass sie die führende Rolle spielt. Ich vermied es, den Riesen Polyphem darüber anzusehen, und bewegte mich langsam auf das Café zu, wo Raphaël auf mich wartete.
    Er saß draußen und verrührte ein Stück Zucker in seiner Tasse. Rings um diese Handvoll rostiger, verbogener Tischchen sprossen aus den Kastanienzweigen neue Knospen. Hunderte von Krokussen bedeckten die Beete.
Seit ich wieder in Paris wohnte, um auf den Prozessbeginn zu warten, fehlte mir der alltägliche Kontakt zur Natur manchmal so sehr, dass ich fast geschrien hätte.
    Und so lehnte ich mich an einen prächtigen Stamm, dessen Flecken ich in Nahaufnahme betrachten konnte. Im Park, der zu dieser frühen Morgenstunde fast menschenleer war, besetzte Raphaël als Einziger einen Tisch. Er saß ein wenig krumm auf seinem Stuhl, mit ausgestreckten Beinen, den langen schwarzen Mantel trug er offen, darunter einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd ohne Krawatte. Der Kragen gab den Blick auf seinen Hals und ein Stückchen Haut darunter frei.
    Er hob den Kopf, als hätte er meine Anwesenheit gespürt, aber er sah mich nicht. Um Augen und Mund zeichnete sich deutlich ein Faltennetz ab, doch selbst diese tiefen Furchen standen ihm gut. Er war in Gedanken versunken, mit leicht geneigtem Kopf und leerem Gesichtsausdruck. Ab und an rückte er die Sonnenbrille auf seinen immer
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