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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren
Autoren: Arnon Grünberg
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nicht. Das verstehst du doch? Es geht nicht, tut mir leid. Wirklich
nicht.«
    »Ich werd es ihnen erklären.«
    »Jason?«
    »Ja?«
    »Wollen wir Telefonsex machen?«
    »Jetzt?«
    »Nein, nachher. Wenn sie weg ist und die Kinder im Bett liegen.«
    »Aber das haben wir noch nie gemacht.«
    »Ebendarum.«
    »Jetzt muss ich mich um die Kinder kümmern, und wenn die Kinder im Bett
sind, bin ich erschöpft.«
    »Valeria macht es auch immer so. Wenn sie in Europa ist, ruft sie ihren Mann an. Und dann haben sie Telefonsex. Sie sagt,
es wäre phantastisch.«
    [46]  »Ist das nicht unheimlich teuer?«
    »Sie skypen.«
    Sie hört ihn seufzen. »Wer war Valeria gleich wieder?«
    »Eine meiner besten Freundinnen. Vor ein paar Wochen war sie mit ihrem
Mann zum Essen bei uns.«
    »Ach, die. – Ich kümmere mich jetzt um die Kinder. Pass gut auf dich
auf.«
    Lea legt ihr Handy neben die Zahnbürste. Ihr Gesicht ist sauber, doch
unter dem linken Auge entdeckt sie etwas zerlaufene Wimperntusche und tupft sie schleunigst ab.
    Sie hängt das Handtuch auf, geht aus dem Bad und legt ihr Handy aufs
Nachtschränkchen.
    Nackt legt sie sich ins Bett.
    3
    Der Schreibtisch ist klein, er bietet kaum Platz für ein Notebook.
Der Fernseher ist einfach zu groß.
    Das Fenster im Zimmer lässt sich nicht öffnen.
Wahrscheinlich, um Selbstmordneigungen vorzubeugen.
    Rolands Mantel liegt auf dem Bett. Die Schuhe hat er ausgezogen. Wenn
er allein ist, läuft er gerne in Socken herum.
    Er hat schon ein paarmal am Fenster gerüttelt, die Direktion vergeblich
um ein Zimmer gebeten, dessen Fenster sich öffnen lassen
– hier gibt es keine –, und jetzt hat er sich in sein Schicksal ergeben. Morgen
früh wird er ohnehin abreisen. Dann bleibt das Fenster eben in Ewigkeit zu.
    [47]  Seit er am Morgen zum letzten Mal die E-Mails gecheckt hat, sind achtundzwanzig
neue hinzugekommen.
    Er beantwortet E-Mails am liebsten sofort. Dann hat er es hinter sich.
Nachteil dieser Methode ist nur, dass dadurch erst recht immer neue E-Mails dazukommen.
    So hat er niemals Ruhe. Doch was er macht, macht er gern gut. Mails von
Studenten lässt er nie unbeantwortet, und die von Kollegen auch nicht, selbst wenn
deren Inhalt nicht direkt eine Antwort erfordert. Es ist eine Unart, gewiss, aber
er möchte nun einmal gerne brillieren. Es ist die Berufung des Menschen, stets nach
dem Höchsten zu streben.
    »Vorgestern war’s«, antwortet Violet.
    Er steht auf, geht ins Bad und schaltet das Licht an, kommt dann zu seinem
Notebook zurück. Die Tastatur war einmal weiß, mittlerweile ist sie eher grau. Merkwürdige
Flecken haben sich darauf gebildet.
    »Und mit wem?«
    »Mit einem Mann.«
    »Einem Mann. Ist das alles? Einfach so?«
    »Das ist alles.«
    »Was für ein Mann?«
    Violet entwirft Taschen. Damenhandtaschen.
In China werden sie hergestellt, aber in Europa entworfen. Manchmal entwirft sie auch etwas anderes. Einen Aktenkoffer zum Beispiel.
    Tagsüber arbeitet sie in einem schönen Büro am Rande der Stadt, wo Leute
auch noch andere Dinge entwerfen, die dann in China hergestellt werden. Ab und zu
dürfen die Designer auch auf Dienstreise dorthin, aber ein reines Vergnügen ist
das, wie man hört, nicht.
    [48]  »Ein Mann, einfach ein Mann.«
    »Kenne ich ihn?«
    »Nein.«
    »Bist du sicher? Ich kenne viele Männer, auch welche, von denen du gar
nicht weißt, dass ich sie kenne.«
    »Du kannst ihn nicht kennen.«
    Er klemmt sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und öffnet den schmalen Garderobenschrank, in dem drei Kleiderbügel
hängen. Selbst an Bügeln wird hier gespart. Das Handy immer noch zwischen Ohr und
Schulter, hängt er seinen Mantel auf.
    Roland Oberstein ist seiner Meinung nach glücklich, weil er nach nichts
strebt, das er nicht bekommen kann. Was er will, ist für ihn erreichbar. Und was
nicht erreichbar ist, will er auch nicht. So einfach ist sein Glücksrezept. Dass
dieses Glück letztlich nicht mehr ist als Wohlbehagen oder Zufriedenheit, die Abwesenheit
von Leiden, stört ihn nicht im Geringsten.
    Natürlich hat auch er unrealisierte Wünsche, doch ist er recht zuversichtlich,
dass viele davon noch in Erfüllung gehen werden.
    »Und warum? Ich meine: Bist du verliebt?«
    Roland Oberstein hat sich wieder ans Notebook gesetzt. Keine einzige
dringende Mail heute Abend. Trotzdem muss er alles immer sofort beantworten. Er
zwingt sich zur Sorgfalt, zu gewissenhafter Nachsorge.
Das ist das Wort: Nachsorge.
    Er bekommt keine Antwort. »Bist du verliebt?«,
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