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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren
Autoren: Arnon Grünberg
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Das ist alles.«
    [36]  Ihr Freund ist kein großer Redner, es gibt Tage, an denen er genauso
wenig sagt wie Meneer Bär. Sie möchte ihn zum Reden bringen, weiß aber nicht, wie.
Alles Mögliche hat sie schon probiert. Urlaubsreisen, romantische Essen, einmal
hat sie ihn sogar dazu gebracht, zusammen mit ihr Espressotassen zu bemalen, doch
als sie fertig waren, meinte er nur, das seien für die nächsten fünf Jahre Espressotassen
genug. Und groß den Mund aufbekommen hat er bei der Aktion auch nicht.
    Wenn sie nachmittags mit einer Tüte Lakritz in ihrem Büro am Schreibtisch
sitzt, denkt sie manchmal: Jetzt habe ich wirklich alles probiert. – Alles probiert,
um die Wärme, die irgendwo in ihm steckt, zum Vorschein zu bringen. Er ist wie ein
Ofen, den sie nicht zum Brennen bekommt.
    »Machst du da noch irgendwas nebenher? Liest du E-Mails? Ich hör dich
doch tippen! Wenn du lieber deine E-Mails beantwortest, als mit mir zu reden, brauchst
du mich nicht mitten in der Nacht anzurufen!«
    »Ich tippe nicht«, sagt Roland.
    »Ich hör’s doch!«
    »Ich tippe nicht«, beharrt er.
    »Ich hab gehört, wie du getippt hast.«
    »Ich hab nicht getippt.«
    »Hältst du mich für bescheuert? Du klingelst mich aus dem Schlaf, und
dann tippst du. Warum rufst du mich an, wenn du tippst?«
    »Ich hab nicht getippt«, wiederholt Roland. »Und ich rufe dich an, weil
du mich angerufen und eine SMS geschickt hast. Zwei, um genau zu sein.«
    »Warum erzählst du mir nichts?«, fragt Violet wütend.
    [37]  »Ich bin kein großer Redner«, sagt Roland. »Das weißt du doch. – Wann
kommt der Klempner?«
    »Am Vormittag. Glaube ich. Jetzt tippst du
schon wieder!«
    »Ich tippe nicht.«
    »Wirst du damit wohl aufhören? Du redest mit mir. Konzentrier dich auf
unser Gespräch. Hör auf zu tippen.«
    »Ich konzentriere mich.«
    Jetzt sitzt sie kerzengerade im Bett, Meneer Bär in ihrem Arm. Er ist
wirklich todkrank. Ein Bein hängt lose herunter.
    »Sinn und Zweck eines Gesprächs ist, dass Leute einander etwas erzählen.
Wenn du nichts erzählen willst, warum rufst du dann an? Ist nichts passiert, was
sich zu erzählen lohnt?«
    »Ich weiß nicht, was ich erzählen soll«, sagt Roland. »Es ist spät. Ich
bin müde. Ich liebe dich.«
    »Vielleicht könntest du das mit etwas mehr Überzeugung anbringen! Es
hört sich ja an, als würdest du vom Kellner die Rechnung verlangen.«
    »Ich liebe dich«, hört sie noch mal im selben Ton.
    Als junges Mädchen wollte sie zur Luftwaffe gehen, etwas Außergewöhnliches tun, kaum eine Frau flog eine F-16, doch irgendwann hat sie die Idee aufgegeben.
    »Ich werd’s nicht mehr tun. Aber wenn ich dich nicht aus dem Schlaf klingle,
ist es auch wieder verkehrt. Was ich auch tue, nie ist es richtig.«
    Ob Puppendoktoren wohl in den Gelben Seiten zu finden
sind? Es ist ein so altmodischer Beruf.
    »Also, ich versuch’s noch ein Mal: Ein Gespräch
ist, [38]  wenn zwei Leute sich gegenseitig etwas erzählen. Und was machen wir?«
    »Wir führen ein Gespräch«, sagt Roland.
    »Nein!« Jetzt schreit Violet. »Wir führen kein Gespräch, denn du erzählst
nichts. Und ich hör dich schon wieder tippen. Hörst du wohl endlich damit auf?«
    »Ich kann zwei Dinge gleichzeitig tun. Ich kann tippen und mit dir reden.
Ich bin müde. Wenn du mit mir sprichst, während ich tippe, kann ich nachher schneller
ins Bett. So spare ich Zeit.«
    »Ich bin kein zeitsparendes Mittel. Ich bin deine Freundin, verdammt
noch mal!«
    »Das eine schließt das andere nicht aus«, sagt Roland. »Eine gute Freundin
ist auch ein zeitsparendes Mittel.«
    »Okay, ich versuch es einletztes Mal: Wie war dein Vortrag?«
    »Das hast du bereits gefragt. Gut. Ich bin nicht unzufrieden, auch wenn
es besser hätte laufen können. Schon ganz okay. Die Diskussion hinterher war ein
bisschen lahm.«
    »Wollen wir das Gespräch beenden?«, fragt Violet. »Oder willst du mir
endlich etwas erzählen? Ach, lassen wir’s, es hat ja doch keinen Sinn.«
    »Ich will das Gespräch nicht beenden. Nicht, solange du es nicht willst.
Ich will nicht, dass du traurig bist. Ich rede weiter, bis du auflegst. Ich gebe
nicht auf.«
    »Willst du mir etwas erzählen?«
    »Ich hab dir schon alles erzählt. Möchtest du mir etwas erzählen?«
    »Ja, Roland«, sagt Violet. »Ich bin fremdgegangen.«
    Sie hört Roland lachen.
    [39]  »Lachst du?«, fragt sie.
    »Ja, ich lache«, antwortet Roland.
    »Und warum lachst du?«
    »Weil es lustig ist. Findest du es nicht
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