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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren
Autoren: Arnon Grünberg
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wird nachdenken, arbeiten, Fragen von Studenten beantworten – wenn
nötig, mit einer Prise Sarkasmus. Sein Glück ist durch nichts zu erschüttern, sein
Glück liegt in seiner Unerschütterlichkeit.
    »Wie soll ich denn reagieren?«
    »Ich weiß nicht. Das musst du wissen. Was fühlst du? Fühlst du irgendetwas?«
    Roland denkt nach.
    Er hört, wie jemand im Zimmer nebenan die Toilettenspülung betätigt.
Fühlen. Ein Kollege von einer anderen Fakultät, er unterrichtete Ethik, sagte auf
einer Party einmal zu ihm: »Du tust, als hätten Gefühle nicht die geringste Bedeutung.
Eine Spur hochmütig finde ich das.«
    Er mag keine Partys. Ehe man sich’s versieht, hat man [56]  Ethikdozenten
am Hals, die an Gefühlskoller leiden. Oder Professoren, die einen jahrelang ignorierten,
aber einem in trunkenem Zustand mit unverständlichen Monologen die Ohren vollsülzen.
    »Was hat er eigentlich zu Meneer Bär gesagt?«, fragt Roland.
    »Wer?«
    »Der Mann. Dein Bettgenosse. Was hat er zu Meneer Bär gesagt?«
    »Er meinte: ›Was macht der Teddybär da?‹ Oder so was. Er fand es witzig,
dass ein Bär in meinem Bett lag.«
    »Das hat Meneer Bär bestimmt nicht gefallen«, sagt Roland langsam, fast
wie in Trance. »Nein, überhaupt nicht.«
    4
    Meist wirken die Schlaftabletten innerhalb von zwanzig Minuten.
Diesmal nicht. Lea hat das Gefühl, sich seit einer Stunde schlaflos im Bett hin
und her zu wälzen, doch ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigt, dass sie die Tablette
erst vor fünfundzwanzig Minuten genommen hat. Sie beschließt, mit der nächsten Tablette
noch vierzig Minuten zu warten, in der stillen Hoffnung,
bis dahin vielleicht doch eingeschlafen zu sein.
    Sie schickt ihrem Mann eine SMS mit der
Frage, ob sich die Lage beruhigt hat, ob die Kinder gegessen haben und die Babysitterin
bezahlt ist. Doch sie bekommt keine Antwort.
    [57]  Dann schickt sie eine SMS an eine Freundin
in München, die sich mit Selbstmordgedanken trägt, doch auch von ihr: keine Antwort.
    Es ist Leas beste Freundin. Manche Leute denken an Selbstmord und schlafen
trotzdem sehr gut.
    Fünf Minuten wartet sie noch, dann schickt sie eine Nachricht an Roland
mit der Frage: »Schläfst du schon, oder wartest du immer noch? Entschuldigung nochmals
für das mit der Nase.«
    Sie hasst Abkürzungen oder Schreib- und Grammatikfehler in Handynachrichten.
Ein Mann, den sie in Brooklyn im Park kennengelernt hatte, schickte ihr einmal so
eine. Die SMS sollte eindeutig verführerisch sein,
doch Lea sah bloß noch die Fehler. Seitdem konnte sie den Mann nicht mehr ernst
nehmen und löschte seine Nummer aus ihrem Speicher.
    Als sie fast eingeschlafen ist, kaum noch klar denken kann – dunkel geht
ihr durch den Sinn, dass sie das Licht ausschalten muss, aber sie ist zu träge dazu –, hört sie ihr Handy.
    Sofort ist sie hellwach. Eine Nachricht von Roland: »Habe mit Freundin
telefoniert«, schreibt er. »Und du? PS : Hör auf mit
der Nase.«
    »Warte auf Wirkung der Schlaftablette«, schreibt sie zurück. »Schlaftablette
und du haben viel miteinander gemeinsam.«
    Die Antwort kommt postwendend und besteht aus einem Fragezeichen.
    »Die Tablette bringt mir genauso wenig wie du. Muss ich alles erklären?«,
schreibt sie zurück.
    [58]  Die SMS ist vielleicht etwas dreist.
Doch wenn er pikiert ist, kann sie immer noch sagen, dass die Schlaftablette schon
wirkte, sie am Eindämmern war, nicht mehr recht wusste, was sie da tippte – vorübergehend
unzurechnungsfähig gewissermaßen.
    Die Antwort kommt binnen Sekunden. »Konkurriere ich mit einer Schlaftablette?
Freundin ist fremdgegangen, darum zerstreut.«
    Lea setzt sich im Bett auf. Gleich wird sie die nächste Tablette nehmen.
Die Tabletten rauben ihr den Appetit, doch das ist egal. Darauf kommt es jetzt auch
nicht mehr an.
    »Und nun?«, tippt sie.
    Sie bleibt aufrecht im Bett sitzen, das Mobiltelefon in der Hand.
    Fremdgegangen – es klingt wie ein Versprechen. Bar aller moralischen
Erwägungen lässt das Wort sie um diese Uhrzeit und in ihrer Situation an eine tropische
Insel denken, ans Mittelmeer, ein luxuriöses Hotel mit Swimmingpool – alle Klischees
sorgloser Urlaubsfreuden.
    Die SMS , die kurz darauf kommt, ist nicht
von Roland, sondern von ihrem Mann. »Babysitter endlich nach Hause. Kinder im Bett.
Guten Flug! Liebe dich.«
    Sie schreibt nichts zurück; wartet weiter mit dem Mobiltelefon in der
Hand. Kurz denkt sie an ihr Buch. Sie arbeitet an einer Rudolf-Höß-Biographie, Abgabetermin
vor
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