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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz
Autoren: Andrea Schacht
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Tuchhändler Reinaldus Pauli, polterte die Treppen hinunter, begleitet von dem ihn fröhlich umtänzelnden Benefiz. Und durch die Tür zum Hof kam Lore gestürzt und landete schliddernd vor dem langen Küchentisch.
    »Gibt’s noch was zu essen?«, keuchte sie.
    Hilda, die Haushälterin, musterte das spillerige Mädchen missmutig.
    »Natürlich gibt es noch etwas zu essen. In diesem Haus gibt es immer etwas zu essen!«
    Alyss unterdrückte ein Kichern, das in ihrer Kehle aufzusteigen drohte, und setzte ebenfalls eine gestrenge Miene auf.
    »Ja, aber nur für Mädchen mit sauberer Schürze und gewaschenen Händen.«
    »Dann kriegt der Tilo nix!«
    »Und du Göre erst recht nicht«, gab der drauf und zupfte zwei Entenfedern von Lores schmuddeligem Kittel. »Wird mal wieder Zeit für ein Bad.«
    »Wasser is unjesund fürn Leib!«
    »Nur innerlich«, korrigierte Lauryn. »Frau Alyss, wir stecken diesen übelriechenden kleinen Schmutzlappen nachher in die Pferdetränke und schrubben ihn mit Bimssteinen ab.«
    »Das macht ihr nicht, das ist gotteslästerlich. Das ist …«
    »Wolltest du etwas zu essen haben, Lore?«
    Das Gekeife verstummte. Unter ihren kurzen roten Locken schielte Lore zu Alyss auf. »Aber nich in der Pferdetränke, Frau Herrin. Da nich.«
    »Im Zuber, mit heißem Wasser. Ich achte drauf, Herrin«, ließ sich Hilda vernehmen, füllte einen Napf reichlich mit Brei und gab ebenfalls reichlich Sahne und Honig darüber. Dann schob sie ihn der Gänsehirtin zu, und Leocadie krönte das Ganze noch mit einer Handvoll Apfelschnitze. Das stopfte das kleine Giftmäulchen, und einigermaßen manierlich faltete Lore die Hände und wartete, bis alle anderen auch ihre Schalen gefüllt hatten.
    Die Beginen hatten einen guten Einfluss auf das Kind aus der Gasse, dachte Alyss und widmete sich ebenfalls ihrem Brei. Drei Tage in der Woche besuchte Lore inzwischen den Konvent am Eigelstein, lernte höchst unwillig das Alphabet und sehr willig, der dortigen Köchin zur Hand zu gehen. Es hatte einige Kämpfe gekostet, die Päckelchesträgerin dazu zu überreden, aber inzwischen hatte sie sich mit der Beschneidung ihrer Freiheit abgefunden. Catrin, Alyss’ Ziehschwester, die als Begine lebte, hatte ihr berichtet, dass Lore sich in der Küche durchaus geschickt anstellte, und das Rechnen mit Schock und Mandel, Maß und Scheffel, Unze und Pfund lernte sie dabei geradezu spielerisch. Die Münzen kannte sie sowieso schon immer, und gieriges Feilschen lag ihr im Blut.
    Sie hatten den Tisch eben abgeräumt, als Merten an der Vordertür klopfte. Hilda ließ den Stiefsohn des abwesenden Hausherrn mit der üblich mürrischen Miene ein, aber Alyss begrüßte ihn mit einem freundlichen Kopfnicken.
    »Du hast Abrechnungen für mich dabei?«
    »Ja, Frau Alyss. Und neue Aufträge.«
    Seit einigen Monaten lieferte Merten ihren Wein an auswärtige Kunden, und bisher schien er recht erfolgreiche Geschäfte zu tätigen. Es überraschte Alyss noch immer, dass er mit einem solchen Ernst bei der Sache war, denn seit sie ihn kannte, hatte er ein Leben als Tagedieb geführt, der auf Kosten seines Stiefvaters lebte und sich meist mit den Gecken in der Stadt und vor den Toren herumtrieb. Immerhin hatten ihm diese Beziehungen gute Adressen beschert, an die er den süffigen Pfälzer Wein verkaufte, den Alyss von den Winzern am Rhein bezog.
    »Tilo, begleite uns ins Kontor. Ihr Jungfern fegt die Kammern und macht die Betten. Lange werden wir nicht brauchen, dann brechen wir zu den Brouwers auf.«
    »Ja, Frau Alyss«, ertönte es im Chor.
    Sie ging voraus, und Tilo folgte mit Merten.
    »Feines Wämschen, das«, hörte sie den Tuchhändlersohn sagen, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie Tilo den Stoff der eng auf Mertens Figur geschneiderten Jacke zwischen den Fingern rieb. Merten legte schon immer Wert auf seine Kleidung und scheute auch nicht vor übertriebenem Zierrat zurück. Seine Schuhe hatten lange Schnäbel, seine Beinkleider prunkten in blauen und weißen Streifen, unter dem rotbraunen Wams quollen die Ärmel eines blütenweißen Hemdes hervor.
    »Vom hart verdienten Lohn erworben«, antwortete Merten fröhlich und holte ein ledergebundenes Buch hervor.
    Gemeinsam gingen sie die Posten durch, Alyss klapperte mit dem Abakus, Tilo machte säuberliche Eintragungen in dem Registerband, in dem die geschäftlichen Abwicklungen dokumentiert wurden, dann übergab Merten den Beutel mit den Münzen, und Alyss setzte ihr Siegel auf die Quittung für das
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