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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz
Autoren: Andrea Schacht
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ihre Einkünfte erhielten, während Letztere noch als »Nachrücker« auf ihren Einsatz warteten.
    Nach der großen Umwälzung Ende des 14. Jahrhunderts, die mit der Unterzeichnung des Verbundbriefes besiegelt wurde, war es auch für gewöhnliche Kölner Bürger möglich, in das Schöffenamt gewählt zu werden, aber schon bald versammelten sich hier doch wieder die Mitglieder der alten Geschlechter – der Patrizierfamilien. Das Wort Klüngel soll hier nicht fallen.
    Die Aufgabe der Schöffen war es vor allem, durch Befragung der Angeklagten die Umstände einer Tat herauszufinden, Zeugen zu vernehmen, Tatorte zu besichtigen und Berichte zu verfassen, die dem Richter die Urteilsfindung erleichterten.
    Und Essen zu geben.
    Bei allen möglichen Gelegenheiten.

1. Kapitel
    M üde, doch auch zufrieden zog Catrin sorgsam die Decke über die schlummernde Mutter und ihr neugeborenes Kind und strich der jungen Frau die verschwitzten Locken aus der Stirn. Die Entbindung war ein harter, den ganzen vorigen Tag und die ganze Nacht andauernder, bisweilen blutiger Kampf gewesen.
    »Ein hübsches, gesundes Mädchen«, flüsterte sie, und der Gaffelführer der Wollenweber, Meister Albrecht, nickte. Auch er wirkte erschöpft, doch er lächelte auf sein Weib und sein Kind nieder.
    »Dank Euch für Euren Beistand, Frau Begine.«
    »Eine Arbeit, Meister Albrecht, die ich gerne verrichte. Ein neues Leben ans Licht der Welt zu holen, ist jede Anstrengung wert. Aber nun will ich heimkehren. Mir fallen bald die Augen zu.«
    »Ich begleite Euch, Frau Catrin.«
    »Nein, nein, es ist ja nur eine Straßenecke weiter. Bleibt hier bei Eurer neuen Familie.«
    Sie sah ihm an, dass er genau das lieber tun würde, und sie selbst zog es vor, die wenigen Schritte alleine durch den anbrechenden Morgen zu gehen und ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Ein gut gefüllter Geldbeutel wurde ihr in die Hand gedrückt, und leicht schwankend vor Müdigkeit verließ Catrin das Haus, ohne die fleckige Schürze abzunehmen.
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber es wurde bereits hell, und die ersten Morgensänger zwitscherten in den Gärten. Zwei wohlgenährte Katzen schlenderten vor Catrin durch die Gasse, ganz selbstbewusste Herren ihres Reviers.
    Die kühle Herbstluft – der leichte Geruch von faulen Äpfeln und gärendem Wein schwebte darin – belebte ihre Sinne wieder, und sie beschloss, statt umgehend, wie es sich gehört hätte, den Konvent am Eigelstein aufzusuchen, der ihr seit Jahren ein trautes Heim war, noch ein kleines Stück weiter zu den Weingärten zu wandern, wo die letzten reifenden Trauben an den Rebstöcken hingen. Bislang war sie noch keiner Menschenseele begegnet, und die Stille, die über der Stadt lag, tat ihr wohl. Ihre Gedanken wanderten von der nächtlichen Geburt fort, ziellos von hier nach da, und verweilten für einen Moment an dem Wunsch, selbst ein Kind zu haben. Traurigkeit senkte sich über sie. Es war ihr verwehrt. Durch eigene Schuld. Es hatte Männer gegeben, die um ihre Hand angehalten hatten – sie hatte sie abgelehnt und trotzig das Leben im Konvent der Beginen gewählt. Einen hatte es gegeben, der ihr Herz berührt hatte, ihm hatte sie allerdings aus Schüchternheit nie ihre Gefühle gezeigt. Und dann war es plötzlich zu spät gewesen.
    Entsetzt stellte Catrin fest, dass sie genau zu der Stelle in den Weingärten gewandert war, an der man vor zwei Jahren Robert van Doorne erschlagen aufgefunden hatte. Ihre Hand krampfte sich um den Stoff der Schürze, und sie wollte sich abwenden. Ein leises Stöhnen jedoch hielt ihre Bewegung auf. Entsetzliche Bilder stiegen vor ihren Augen hoch – Robert in seinem Blut, verwundet, hilflos.
    Sie folgte dem Geräusch, und was sie erblickte, war weit schlimmer als das, was ihr ihre Erinnerungen vorgegaukelt hatten.
    Sie wollte schreien, doch ihr Mund blieb stumm. Ihre Hände zerrten an dem starken Leinen ihrer Schürze, rissen Fetzen heraus. Und noch immer kam kein Laut aus ihrer Kehle.
    So entdeckte sie der Rübenbauer, und als er die beiden Männer zu ihren Füßen sah, brüllte er: »Mörder, Diebe! Holt die Wachen! Holt die Wachen!«
    Fensterläden sprangen auf, Türen wurden geöffnet, und der Ruf »Holt die Wachen! Holt die Wachen!« setzte sich durch die Gassen fort bis zum Eigelsteinturm.

2. Kapitel
    A lyss streckte sich genüsslich im Bett aus und blinzelte kurz zum Fensterladen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und Herold, der martialische Hahn, schien noch den Kopf
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