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Mit dir an meiner Seite

Mit dir an meiner Seite

Titel: Mit dir an meiner Seite
Autoren: Nicholas Sparks
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in die Stadt, in der er aufgewachsen war. Eigentlich hatte er gedacht, er würde diesen Ort nie wiedersehen. Und nun stand er kurz davor, den ganzen Sommer mit seinen Kindern hier zu verbringen. Aber was erwartete ihn im Herbst, wenn Ronnie und Jonah wieder nach New York zurückgingen? Er hatte nicht die geringste Ahnung. Nur so viel wusste er: Die Blätter an den Bäumen verfärbten sich erst gelb und dann rot, und in der kühlen Morgenluft bildete der Atemhauch kleine Wölkchen. Die Zukunft vorhersehen zu wollen, hatte er längst aufgegeben.
    Das störte ihn nicht. Prophezeiungen waren ohnehin sinnlos, und außerdem verstand er ja nicht einmal die Vergangenheit so richtig. Eines stand fest - nämlich dass er ein durchschnittlicher Mensch war in einer Welt, die das Überdurchschnittliche liebte. Diese Erkenntnis rief bei ihm ein diffuses Gefühl der Enttäuschung hervor. Vor allem, wenn er an das Leben dachte, das er geführt hatte. Aber was konnte er machen? Im Gegensatz zu Kim, die extrovertiert und umgänglich war, gehörte er zu den eher verschlossenen Menschen und fiel wenig auf. Natürlich besaß er eine gewisse Begabung als Musiker und Komponist, aber ihm fehlten das Charisma und die Präsenz - oder was immer man brauchte, um sich als Künstler durchzusetzen. Er wusste längst, dass er eher ein Beobachter war als jemand, der aktiv ins Geschehen eingriff, und in schmerzlichen Momenten der Wahrheit glaubte er, in all den Dingen, die wirklich zählten, versagt zu haben. Er war jetzt achtundvierzig. Seine Ehe war zerbrochen, seine Tochter ging ihm aus dem Weg, und sein Sohn wuchs ohne ihn auf. Dabei konnte er niemandem auf der Welt Vorwürfe machen, höchstens sich selbst. Mehr als alles andere beschäftigte ihn allerdings die Frage, ob es jemandem wie ihm noch gelingen konnte, die Gegenwart Gottes zu erfahren.
    Vor zehn Jahren hätte er solche Gedanken weit von sich gewiesen. Auch vor zwei Jahren noch. Aber seit er auf die fünfzig zuging, kam er öfter ins Grübeln. Früher war er davon überzeugt gewesen, dass die Antwort auf die Frage nach Gott in der Musik lag. Aber inzwischen hielt er das für einen Irrtum. Je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde für ihn die Einsicht, dass die Musik ihn eher von der Wirklichkeit weggeführt hatte, als ihm zu ermöglichen, das Leben intensiver zu spüren. Wenn er die Werke Tschaikowskis spielte, erlebte er zwar Leidenschaft und Läuterung, und er empfand eine gewisse Zufriedenheit, wenn er selbst eine Sonate geschrieben hatte. Aber ihm war bewusst geworden, dass es wenig mit Gott zu tun hatte, wenn er sich in der Musik vergrub. Nein, dahinter stand sein egoistischer Wunsch, vor allem davonzulaufen.
    Er glaubte heute, dass die eigentliche Antwort in der liebevollen Zuneigung lag, die er für seine Kinder empfand, in der Sehnsucht, die ihn überkam, wenn er morgens in dem stillen Haus aufwachte und ihm klar wurde, dass sie nicht da waren. Doch selbst dann spürte er, dass es noch mehr geben musste.
    Und irgendwie hoffte er, dass seine Kinder ihm bei der Suche helfen würden.
     
    Ein paar Minuten später sah Steve, dass sich die Sonne in der Windschutzscheibe eines staubigen Vans spiegelte. Er und Kim hatten diesen Wagen vor ein paar Jahren gekauft, um damit am Wochenende bei Costco einkaufen zu können - und für Familienausflüge. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, ob sie vor der Abfahrt auch daran gedacht hatte, das Öl zu wechseln. Womöglich hatte sie das seit seinem Weggehen vollständig vergessen. Kim war in solchen Dingen nicht besonders zuverlässig, deshalb hatte er sich immer darum gekümmert.
    Aber dieser Teil seines Lebens war vorbei.
    Er erhob sich. Als er auf die Veranda trat, war Jonah schon ausgestiegen und kam auf ihn zugerannt. Seine Haare waren zerzaust, die Brille saß schief, und seine Arme und Beine waren so dünn wie Bleistifte. Steve spürte einen Kloß in der Kehle, weil ihm wieder einmal bewusst wurde, wie viel er in den vergangenen drei Jahren versäumt hatte.
    »Dad!«
    »Jonah!«, rief Steve und lief mit raschen Schritten über den steinigen Sand in seinem Vorgarten. Jonah warf sich ihm dermaßen schwungvoll in die Arme, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte.
    »Du bist so groß geworden!«
    »Und du bist geschrumpft!«, lachte Jonah. »Aber ganz ehrlich, du bist ja superdünn.«
    Steve drückte seinen Sohn fest an sich. »Ich freue mich so, dass ihr kommt«, murmelte er, bevor er ihn wieder losließ.
    »Ich bin auch
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