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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes
Autoren: Hammesfahr Petra
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aber ich konnte nicht von einem Tag zum anderen alles aufgeben und mich jagen lassen von Leuten, die ich schon als meine zukünftigen Kollegen betrachtete. Und dann war ich eben von einem Tag auf den anderen für Maren weniger als Luft. Eine feige Sau, die sich von alten Säcken einschüchtern ließ. Ein Verräter, ein Spießer. Und Spießer konnte sie auf den Tod nicht ausstehen.
    Es war ein Weltuntergang für mich und nicht leicht zu begreifen, wo sie in den letzten drei, vier Jahren quasi nach meiner Pfeife getanzt hatte, regelrecht besessen von mir gewesen war. Und plötzlich saß ich stundenlang drei Plätze hinter ihr und durfte sie nicht mehr anfassen, von anderen Dingen ganz zu schweigen. Die meiste Zeit hatte ich nur ihr Haar vor Augen, immer noch weißblond. Färben musste sie es nicht, es war von Natur so. Und hüftlang, eine unwahrscheinliche Mähne.
    Manchmal zeigte sie mir ein wenig Profil, wenn sie sich ihrer Sitznachbarin Brigitte Talber zuwandte, um sich von der etwas Unterstützung in Mathe, Deutsch, Bio, Englisch, Geographie und sämtlichen anderen Fächern zu holen. Eine Leuchte war Maren nicht. Aber sie war schon in sehr jungen Jahren ein Vollblutweib, das einem Mann den Verstand völlig ausschalten konnte.
    In meinem Hirn kreisten die Erinnerungen an den Pausenhof und das Mädchenklo. Und darüber schwebte die Gewissheit, dass es vorbei war. Nach all den Jahren, mein halbes Leben damals, aus und vorbei. Das war ein kleiner Tod.
    Um mir in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, dass ich von ihr nichts mehr zu erwarten hatte, flirtete Maren hingebungsvoll mit Willibald Müller, einem schwabbeligen Widerling, der erst ein knappes Jahr zuvor mit seiner Mutter nach Kerpen gezogen war und nicht zu Unrecht den Spitznamen Porky trug. Müller hatte daheim nichts zu befürchten, sein Vater war seit Jahren tot, seine Mutter hatte keine Ahnung vom schlechten Ruf der Familie Koska und lebte nach dem Motto: Liebe geht durch den Magen.
    Schon mit achtzehn brachte Porky knappe drei Zentner auf die Waage, später gab es vermutlich keine Waage mehr für ihn. Und Maren blätterte in der großen Pause mit lüsterner Miene zerfledderte Pornoheftchen mit ihm durch. Maren fragte, wenn ich in Hörweite war: «Sag mal, Willibald, wenn ein Mann so dick ist wie du, ist er dann überall so? Ich meine, hat er auch einen so voluminösen Schwanz? Das wäre ja ein irres Gefühl, als ob man gesprengt wird. Das würde ich gerne mal ausprobieren.»
    Dabei vergewisserte sie sich mit einem langen, eiskalten Blick, dass ich es auch wirklich mitbekam. Und nach Schulschluss klemmte sie sich dann vor meinen Augen hinter ihn auf seine Kreidler Florett. Man hatte immer die Befürchtung, sie müsse runterfallen, sobald er anfuhr. Aber sie fiel nicht. Unter einem Arm eine Wolldecke, den anderen Arm um seinen Schwabbelbauch geschlungen, verschwand ihre Hand in den Speckfalten, als fände sie dort einen Griff zum Festhalten.
    Nur um mich verrückt zu machen, versuchte ich mir verzweifelt einzureden. Sie hatte ihn während der Pause aufgezogen, etwas anderes konnte, durfte sie gar nicht getan haben. Sie doch nicht! Ihn heiß gemacht hatte sie, bis ihm die Spucke im Hals verdampfte. Und wenn er gleich seine Kreidler Florett irgendwo anhielt, wenn die Decke ausgebreitet war, sagte sie wahrscheinlich: «So ein Mist, jetzt habe ich gerade meine Tage bekommen.»
    Wahrscheinlich. Und wenn nicht? Wenn Porky nun doch einen Größeren hatte als ich? Wenn seine Wampe kein unüberwindbares Hindernis darstellte? Wenn sie die Abbildungen aus seinen Heftchen wirklich in natura mit ihm nachstellte? Meine eigene Phantasie machte mich halb wahnsinnig. Vor allem, als Maren sich dann auch noch mit Porky für ein Wochenende in der Eifel verabredete. Ich stand direkt daneben, als sie sagte: «Mein Vater hat ein Wochenendhaus in der Nähe von Nideggen. Da sind Balken an den Wänden, das müsste ungefähr der gleiche Effekt sein wie an der Sprossenwand in der Sporthalle. Du musst nicht die ganze Zeit dein eigenes Gewicht stemmen, damit du mich nicht erdrückst. Da können wir es uns richtig gemütlich machen und haben viel mehr Zeit, um einiges auszuprobieren, Willibald.»
    Damals fing es an mit den schlaflosen Nächten. Wochenlang lag ich nachts im oberen Etagenbett, von Kopf bis Fuß zu Stein geworden, einen Ring aus glühendem Eisen um die Brust und in der Kehle einen Schmerz wie ein Messer. Ich wartete nur darauf, dass mein jüngerer Bruder endlich
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