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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes
Autoren: Hammesfahr Petra
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gemischt, den Trick kannte sie ja noch aus ihrer Zeit in den USA. Zudem hatte sie vor ihrem Aufbruch alle vier Reifen des Leihwagens zerstochen. Sie war nun unterwegs mit dem gesamten noch vorhandenen Lösegeld in dem beigefarbenen Mazda, nach dem niemand suchte.
    Der Leihwagen hätte an diesem Dienstagmorgen zurückgegeben werden müssen. Als das nicht geschah, kümmerte sich jedoch nicht sofort jemand um den Verbleib des Fahrzeugs, wie sie es einkalkuliert hatte. Man hatte ja die Kreditkartennummer und zog nur die Leihgebühr für einen weiteren Tag ein. Niemandem fiel auf, dass der Wagen an eine Frau übergeben worden war, deren Name und Gesicht seit dem vergangenen Nachmittag durch sämtliche Medien ging.
    Während der Weiterfahrt erzählte sie ihm davon. «Zugegeben», sagte sie, «die Idee ist mir erst gekommen, nachdem ich die Leitplanke geküsst hatte. Aber sie ist mir gekommen, das zählt. Ich wusste ja nicht, ob Rex mir die Nummer abnimmt, ob ich es schaffe, uns beide mit heiler Haut da wieder rauszubringen. Ich dachte, wenn die Sache schief geht, tut sie das schnell. Und dann muss es mich nicht mehr stören, wenn jemand auftaucht, um zu sehen, wo das Auto bleibt. Dann kriegen wir beide wenigstens ein anständiges Begräbnis.»
    Sie lachte, fröhlich klang es nicht. «So weit denkt Rex garantiert nicht. Er wird es auch nicht riskieren, einen Fuß vor die Tür zu setzen, solange seine Visage über die Bildschirme flimmert. Dass seine Anschrift hinterlegt wurde, weiß er ja nicht. Dieser undankbare Arsch. Alte Autos verkaufen war unter seiner Würde. Da ist es nur recht und billig, wenn jetzt ein Autoverleiher dafür sorgt, dass er hinter Gitter wandert.»
    Dass ihre Rechnung nicht aufging, erfuhr sie nicht. Es gab zwar ein Autoradio in dem Mazda, aber sie verließ den Sendebereich. Welchen Weg genau sie nahm, um zurück nach Eupen zu kommen, konnte nicht geklärt werden. Dem Kölner Raum kam sie jedenfalls nicht zu nahe, sie fuhr durch die Niederlande, legte etliche hundert Kilometer zurück. Zweimal musste sie tanken, besorgte dabei etwas zu essen, Süßigkeiten und Getränke. Irgendwann am Nachmittag trafen sie in Eupen ein. Sie war erschöpft, er auch, sodass sie sich bald schlafen legten.
    Mittwochs fuhr sie wieder stundenlang mit ihm, zurück in die Niederlande, ein Stück weit auf einer Straße, die übers Meer führte, möglicherweise nach Vlissingen. Es ist anzunehmen, dass sie sich nach Fährverbindungen erkundigte. Auf der Rückfahrt fragte sie: «Warum sind deine Eltern eigentlich nicht verheiratet?»
    «Damit sie sich nicht scheiden lassen können», sagte er. «Das ist ein Argument», meinte sie und wollte noch wissen, ob Mama seinen Papa sehr lieb habe.
     
    «Ja», sagte er. «Aber manchmal zanken sie sich auch.»
    Er fand es nicht übel, stundenlang mit ihr Auto zu fahren. Sie war lustig, sprach mit ihm wie mit einem
    Erwachsenen, erzählte ihm Dinge von Papa, die ihm sonst bestimmt niemand erzählt hätte. Abends durfte er sehr lange aufbleiben. Und am Donnerstag durfte er sich wünschen, was er gerne machen wollte.
    Einmal Papa anrufen.
«Das geht nicht», sagte sie.
«Warum nicht?»
«Mein Telefon ist kaputt.»
«Du hast doch viel Geld, du kannst ein neues kaufen.» «Nein», sagte sie. «Deinem Papa schadet es gar nichts, wenn er ein bisschen schmort. Und dir geht es doch gut, oder?»
    Ja, eigentlich schon, aber er hatte Sehnsucht – wie ET. Da er nicht wusste, was er sonst noch gerne machen wollte, ließ sie sich etwas einfallen, unbedingt kindgerecht war es nicht. Mittags führte sie ihn in ein kleines Restaurant, kochen konnte sie ja nicht. Und nachmittags fuhr sie mit ihm zu einem Café, wo er einen großen Schokoeisbecher mit Sahne bekam, den er aber nicht mehr aufessen konnte, weil sie plötzlich sagte: «Scheiße, Konni. Wir müssen hier weg, sonst werden wir beide zu Hackfleisch verarbeitet.»
    Sie zerrte ihn vom Stuhl zu einem Hinterausgang. Der beigefarbene Mazda stand ein Stück von dem Café entfernt. Im Freien begann sie zu rennen und riss ihn mit. Er hatte Mühe, seinen Plüschrex festzuhalten, den er auf Schritt und Tritt mit sich herumschleppte. Und er begriff nicht, warum sie mit einem Mal so anders war. Sie schob ihn ins Auto, warf sich hinters Steuer und brauste los, stieß ellenlange Flüche auf die Trantüten aus. Damit war wohl die Leihwagenfirma gemeint.
    Ob sie verfolgt wurden, konnte er nicht feststellen, auch nicht, wie lange sie fuhr. Im Vergleich mit den
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