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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes
Autoren: Hammesfahr Petra
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zweit, Rex und so ein widerlicher Knilch, der kleine Mann. Der ist wirklich klein. Rex hat ihn zu Oliver geschickt. Er sollte aufpassen, dass Oliver nicht aufwacht, damit ich – in aller Ruhe – genießen kann. Er war so entsetzlich besorgt, es könne mir nicht gefallen. Er war so furchtbar zärtlich. Ich – ich konnte gar nichts dagegen tun, das passierte irgendwie von allein.»
    Sie drehte mir das Gesicht zu, die Augen wie Steine. «Er hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben. Rein technisch gesehen war da kein großer Unterschied. Das habe ich ihm auch gesagt. Er war sehr zufrieden und meinte, dann müsse das wohl andere Gründe haben, die wir beide nicht beeinflussen können.»
    Ihr Blick schweifte zum Nachttisch, für ein, zwei Sekunden breitete sich auf ihrer Miene etwas wie Verwunderung aus. Offenbar setzte die Erinnerung an die schlimmsten Momente erst ein, als sie das Glas sah. Sie tastete mit einer Hand über ihren Leib, lächelte erleichtert, sprach weiter: «Dann brachte er mir das Glas und verlangte, dass ich austrinke. Es wäre besser für mich, wenn ich fest schlafe, während der Doktor sich seinen Spaß gönnt, sagte er. Der könne nämlich nicht normal mit einer Frau, er könne nur mit einem Messer. Und dann sagte er …»
    Die Tasse in ihren Händen kippte, ein Rest Kaffee ergoss sich über die Decken. Ihr Körper versteifte sich, die Stimme wurde schrill. «Wo ist Oliver?»
    «Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren Sohn», versuchte Mertens sie zu beruhigen. «Es wird bereits nach ihm gesucht. Wahrscheinlich ist er nur weggelaufen.»
    «Nein!», schrie Hanne mit kippender Stimme, heftete den Blick auf mich, in ihren Augen flackerte Irrsinn. «Rex sagte, er muss ihn mitnehmen, seine Frau will den Verräter selbst bestrafen. Aber sie wird ihn zurückschicken – in drei oder vier Stücken.»
    Ich konnte das nicht glauben – alles, aber das nicht. Nicht mit ihrer gehetzten Stimme im Ohr. Nicht mit ihrer Entschuldigung. «Konni, es tut mir Leid. Ich wusste nicht …» Ich war überzeugt, sie hätte davon erst in den zwanzig Minuten erfahren, die zwischen der SMS und ihrem Anruf vergangen waren.
    Unsere Wohnung füllte sich schnell. Das ganze Haus füllte sich. Die Nachbarn wurden befragt. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Ein paar Mal hörte ich eine Stimme über Megaphon. Die Kerpener Kollegen fuhren durch die Stadt und baten die Bevölkerung um Aufmerksamkeit. «Gesucht wird der fünfjährige Oliver Neubauer. Er ist bekleidet mit einem Schlafanzug, blaue Hose, helle Jacke mit Bärchen.»
    Niemand glaubte, dass etwas dabei herauskäme, jedenfalls nichts Lebendiges mehr. In den ersten Stunden dachte ich, dass ich den Verstand verliere. Das Geräusch von reißendem Blech und das Poltern, das ich durchs Handy gehört hatte, klang mir im Kopf wie ein Hammer, der alles kaputtschlug. Wenn Maren unterwegs gewesen war, um meinen Sohn zu retten, konnte sie überall einen Unfall gehabt haben.
    Ich war der Einzige, der das in Betracht zog, weil ich alles andere nicht ausgehalten hätte. Ich hatte doch am Freitag noch mit ihr geschlafen. Ich hatte sie geliebt – auch wenn ich sie manchmal gehasst oder verabscheut hatte. Ich hätte sie zeitweise totprügeln oder erwürgen können, aber ich hatte den Gedanken nicht ausgehalten, dass sie für ihre Komplizen nur entbehrliches Hundefutter sein könnte.
    Ich lief herum, von einem Zimmer ins andere, immer wieder an sein leeres Bett. Denken konnte ich nicht, weil jeder Gedanke aus blutigen Fetzen bestand. Mein Olli. Kleiner Gauner hatte ich ihn manchmal genannt. Er war ja wahrhaftig nie einer von der stillen Sorte gewesen. War! Eine grauenhafte Vorstellung. In drei oder vier Stücken. Das konnte sie ihm nicht antun und mir auch nicht.
    Hanne kam den ganzen Montag nicht aus dem Bett. Die Männer vom Erkennungsdienst hätten das Bettzeug gerne abgezogen und mitgenommen. Doch da war mit Verhandlungen nichts zu machen, und mit Gewalt wollte man sie nicht rausziehen. Der Arzt, den Mertens anforderte, weil er meinte, es müsse ein Abstrich gemacht werden, musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Wie eine lebensgroße Puppe saß sie zwischen den Kissen. So beantwortete sie auch Fragen.
    Gekommen waren die beiden Kerle kurz nach elf. Wann sie die Wohnung verlassen hatten, wusste Hanne nicht. Da war sie bereits ohne Bewusstsein gewesen.
    Rudolf und Schmitz kamen kurz vor Mittag. Ab dem Zeitpunkt hörte ich auch mehrfach einen Hubschrauber kreisen. Rudolf
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