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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes
Autoren: Hammesfahr Petra
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manchmal der Begriff «Halsabschneider».
    Koska galt als sehr reicher Mann, fühlte sich zeitweise als der König von Kerpen und führte sich auch so auf. Zuerst kaufte er, um nur ein Beispiel zu nennen, nahe der Boelcke-Kaserne ein Stück Land mit Bäumen, das eigentlich nicht zur Bebauung vorgesehen war. Er stellte auch zu Anfang nur ein paar alte Autos zwischen die Bäume, von denen er dann etliche fällen ließ, um mehr Platz für mehr Autos und ein Bürogebäude zu erhalten. Aus dem Bürogebäude wurde jedoch ein klotziges Wohnhaus. Die Stadtoberhäupter nahmen es zähneknirschend hin und besorgten ihm im Nachhinein die Baugenehmigung, um nicht einen guten Gewerbesteuerzahler zu verlieren. Damit soll er gedroht haben.
    Maren war sein einziges Kind, spät geboren, erst nach zwanzig Jahren Ehe, glaube ich, es kann auch noch länger gedauert haben. Koska war jedenfalls schon Anfang fünfzig, seine Frau nicht wesentlich jünger, als sie wider Erwarten doch noch Mutter wurde. Zu Anfang habe Mami die Schwangerschaft für Wechseljahresbeschwerden gehalten, erzählte Maren mir irgendwann einmal.
    Unter diesen Voraussetzungen war es kaum verwunderlich, dass dem Töchterlein nie ein Wunsch abgeschlagen wurde. Und wer alles im Überfluss hat oder haben kann, wer von Papi schon in frühester Kindheit lernt, wie man mit anderen Leuten umspringen muss, um seinen Kopf durchzusetzen, weiß bald vor lauter Langeweile und Überdruss nicht mehr, was er sich noch wünschen oder anstellen könnte.
    Bis zum dritten Schuljahr hatte ich nichts mit Maren zu tun. Wir gingen eben in eine Klasse, aber ich nahm sie nicht zur Kenntnis und sie mich nicht. Ich hatte einen Freund, Peter Bergmann, mit dem ich in den Pausen und auch nachmittags oft zusammen war. Bis zu dem Tag, als das mit der Katze passierte.
    An dem Morgen kamen wir zu dritt vor der Schule an. Mein jüngerer Bruder war auch dabei, er ging gerade in die erste Klasse. Am Straßenrand war ein Pulk von Kindern versammelt. Ein Mädchen weinte und schrie: «Lass das sein, das darf man nicht. Du bist ein Schwein. Das arme Kätzchen.»
    Eine junge Katze lag in der Gosse, dem Anschein nach war sie angefahren worden. An einem Hinterbein ragte der Knochen aus dem zerfetzten Gewebe. Sie fauchte zum Gotterbarmen. Maren hockte bei dem verletzten Tier, einen Zweig in der Hand, stocherte sie in der scheußlichen Wunde. Mit Ausnahme des Mädchens, das auch nur schrie, wagte es niemand, etwas gegen sie zu unternehmen. Peter Bergmann lief los, um unsere Lehrerin zu holen. Und mir hatte man beigebracht:
    «Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz.»
Ohne mir großartige Gedanken über etwaige Folgen zu machen, riss ich Maren den Zweig aus der Hand und schlug ihr damit ins Gesicht. Auf ihrer Wange zeichnete sich sofort ein weißer Streifen ab, der sich rasch rot färbte, aber nicht so rot wie das Blut der Katze, das sich vom Zweig in Spritzern auf ihrer Haut verteilt hatte.
Plötzlich herrschte Totenstille, das schreiende Mädchen verstummte abrupt, als hätte ich ihr eine gewischt. Auf allen Mienen zeichnete sich Unbehagen oder gar Entsetzen ab. Mein jüngerer Bruder war ganz weiß um die Nase und brachte flüsternd zum Ausdruck, was wohl alle dachten: «Das sagt sie ihrem Vater, und dann sperren sie dich ein.»
Ich rechnete ebenfalls damit, dass Maren nun auf mich losginge, nicht unbedingt mit ihren kleinen Fäusten, nur verbal, dass sie mir mit Papi und schlimmen Konsequenzen drohte. Tat sie aber nicht. Sie schaute mich irgendwie verwundert an, tastete ihre Wange ab, verrieb die Blutspritzer mit den Fingern, richtete sich auf und sagte: «Das wäschst du ab.»
Das tat ich dann auch. An dem Morgen war ich zum ersten Mal mit ihr im Mädchenklo. Während unsere Lehrerin dafür sorgte, dass die verletzte Katze weggeschafft, wahrscheinlich zu einem Tierarzt gebracht wurde, wusch ich das Blut aus Marens Gesicht und trocknete es mit meinem Hemd, weil kein Handtuch da war. Ich schätze, das war der erste Schlag, den sie eingesteckt hatte. Und sie vergaß ihn genau wie ich niemals.
Von dem Tag an hing sie – zumindest in der Schule – wie eine Klette an meinen Fersen. Ich war zu der Zeit etwas größer als die meisten unserer Mitschüler, hatte kurz zuvor bei einem Sportfest mit der höchsten Punktzahl für unseren Jahrgang abgeschnitten. Hinzu kam, dass ich, bedingt durch das ständige Training mit zwei Brüdern, aus Raufereien stets als Sieger hervorging. Und für Maren kam
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