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Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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    F rüher wurde Vachel Carmouche in den staatlichen Personalakten stets als Elektriker geführt, niemals als Henker. Das war zu der Zeit, als der elektrische Stuhl manchmal in Angola stand, mitunter aber auch auf einem Tieflader mitsamt seiner Generatoren von Bezirksgefängnis zu Bezirksgefängnis gekarrt wurde. Vachel Carmouche erledigte die Arbeit des Staates. Er machte seine Sache gut.
    Wir in New Iberia wussten, welchen Beruf er ausübte, gaben uns aber ahnungslos. Er lebte allein droben am Bayou Teche in einem ungestrichenen, mit Wellblech gedeckten Zypressenholzhaus, das tief im Schatten dunkler Eichen lag. Er pflanzte keine Blumen in seinem Garten und rechte ihn selten, aber er fuhr stets ein neues Auto, das er gewissenhaft wusch und pflegte.
    Jeden Morgen sahen wir ihn in aller Frühe in seinen frisch gebügelten grauen oder khakifarbenen Sachen, eine Segeltuchkappe auf dem Kopf, allein am Tresen in einem Café an der East Main Street sitzen, wo er die anderen Gäste im Spiegel musterte, mit halb offenem Mund und leichtem Überbiss über seine Kaffeetasse gebeugt, als wollte er etwas sagen, obwohl er sich nur selten auf ein Gespräch einließ.
    Wenn er einen dabei ertappte, dass man ihn anschaute, lächelte er rasch und legte das braun gebrannte Gesicht in Hunderte von Fältchen, doch das Lächeln passte nicht zu dem Ausdruck in seinen Augen.
    Vachel Carmouche war Junggeselle. Falls er Freundinnen hatte, bemerkten wir nichts davon. Hin und wieder kam er in Provost’s Bar & Poolsalon, setzte sich an meinen Tisch oder neben mir an den Tresen und deutete damit unterschwellig an, dass wir beide Ordnungshüter waren und daher über eine gemeinsame Erfahrung verfügten.
    Damals trug ich noch die Uniform der Polizei von New Orleans und war scharf auf Jim Beam, am liebsten pur mit einer Flasche Jax-Bier daneben.
    Eines Abends traf er mich allein an einem Tisch bei Provost’s an und setzte sich, eine weiße Schale mit Gumbo in den Händen, unaufgefordert hin. Ein Tierarzt und ein Lebensmittelhändler, mit denen ich getrunken hatte, kamen aus der Männertoilette, warfen einen Blick zum Tisch und gingen dann zur Bar, kehrten uns den Rücken zu, bestellten sich ein Bier und tranken es dort.
    »Man muss dafür bezahlen, dass man ein Cop ist, nicht wahr?«, sagte Vachel.
    »Sir?«, sagte ich.
    »Sie brauchen mich nicht mit ›Sir‹ anzureden … Sind Sie viel allein?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Ich glaube, das bringt der Beruf mit sich. Ich war einst bei der Staatspolizei.« Er senkte den Blick und wandte die Augen, die so grau waren wie sein gestärktes Hemd, dem vor mir stehenden Schnapsglas und den Ringen zu, die mein Bierkrug auf der Tischplatte hinterlassen hatte. »Ein Trinker hört daheim allerhand Echos widerhallen. Wie wenn ein Stein in einen trockenen Brunnen fällt. Nichts für ungut, Mr. Robicheaux. Darf ich Ihnen eine Runde ausgeben?«
    Das neben Vachel Carmouches Anwesen gelegene Grundstück gehörte der Familie Labiche, Nachkommen so genannter freier Farbiger, wie man sie vor dem Bürgerkrieg nannte. Der Begründer der Familie war ein französisch erzogener Mulatte namens Jubal Labiche gewesen, der am Bayou südlich von New Iberia eine Ziegelei besaß. Er hielt selbst Sklaven, die er ebenso wie die zusätzlich angemieteten gnadenlos schuften ließ, und lieferte einen Großteil der Ziegel für die Häuser anderer Sklavenhalter entlang des Teche.
    Das Haus mit dem Säulenportal, das er südlich der Grenze des Parish St. Martin errichtete, wartete nicht mit italienischem Marmor oder Ziergittern aus spanischem Schmiedeeisen auf, wie die Villen der Zuckerrohrpflanzer, die weitaus vermögender waren als er und deren Lebensart er nachzueifern suchte. Aber er pflanzte immergrüne Eichen entlang der Fahrwege, hängte Blumenkästen an seine Balkons und die Veranda, und seine Sklaven hielten die Obstgärten mit den Pekan- und Pfirsichbäumen und die Anbauflächen tadellos in Ordnung. Auch wenn er nicht in die Villen der Weißen eingeladen wurde, achteten sie ihn doch als Geschäftsmann und gestrengen Zuchtmeister und behandelten ihn auf der Straße höflich und zuvorkommend. Das genügte Jubal Labiche beinahe. Aber nur beinahe. Er schickte seine Kinder zur Ausbildung in den Norden, hoffte darauf, dass sie dort eine gute Partie machten, über die Rassenschranken hinweg, damit die hellbraune Hautfarbe der Familie Labiche, dieser Makel, der ihn trotz allem Ehrgeiz einschränkte, irgendwann endgültig
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